Wir sind der

Osten

Sebastian Schwerk

Sebastian Schwerk ist 1973 in West-Berlin geboren, in Nordenham an der Nordsee aufgewachsen und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Sebastian wohnt aktuell in Dresden, wo er als Creative Director arbeitet.

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Mein Vater stammt aus Bautzen und hat eine ziemlich bewegte Ost-West-Geschichte, die 1992 mit der Rückkehr aus Niedersachsen nach Sachsen ein gravierendes Kapitel für die ganze Familie bedeutete.

Ich wollte ihm 1993 nach dem Abitur zunächst nicht folgen, war dann aber von der verwunschenen Altstadt Bautzens genauso fasziniert wie davon, auf einmal so etwas wie echte Zeitgeschichte zu erleben.

Ich habe in Bautzen ein Jahr Zivildienst gemacht und als Vertragsamateur Fußball gespielt und bin später zum Studieren nach Dresden. Nach großen Anfangsschwierigkeiten habe ich dort Freunde fürs Leben gefunden und mit der Neustadt einen Kiez, in dem sich das Beste aus Dorfleben und Großstadt vereint.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Beruflich entwickle ich Kommunikationskonzepte für Technologieunternehmen, darunter waren einige erfolgreiche (digitale) Start-ups aus Sachsen. Ich habe in Dresden mit engagierten Mitstreitern eine Weiterbildungseinrichtung für Musikwirtschaft und ein Stadtteilmuseum mit ins Leben gerufen. Seit zehn Jahren engagiere ich mich ehrenamtlich im Dresdner Kinder- und Jugendfußball und setze mich für die Etablierung kindgerechter Spielformen und -strukturen ein. Dabei haben wir in Dresden anerkannte Pionierarbeit geleistet.

  • 1976

    Berlin (West)

  • Nordenham

  • Bautzen

  • Heute

    Dresden

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Ich fühle mich weder westdeutsch noch ostdeutsch! Ich bin ein in Berlin geborenes Küstenkind in Dresden und behaupte, dass verwurzelte Bayern dem typischen Sachsen ähnlicher sind als einem Ostfriesen.

Ich mag die Begriffe Ostdeutschland und „neue Bundesländer“ gar nicht und finde, man sollte sie komplett vermeiden. Die Nutzung suggeriert sofort eine Identifikation, die ich sehr fragwürdig finde.

Zum Glück habe ich ständig mit der Generation der heute 15- bis 25-Jährigen zu tun, die das – zumindest in der Großstadt – nicht mal ansatzweise tangiert. Die identifizieren sich (wieder) mit Musikszenen oder Sportlern – und zwar mit denselben wie die Kids in Mainz oder Bremen.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Die Freunde haben erst sehr blöde Sprüche gemacht, aber dann den „Aufbau Ost“ schneller wahrgenommen als viele Menschen hier. Die haben mächtig über die modernen Tankstellen und Einkaufszentren gestaunt, die hier Anfang der 90er gebaut wurden – sowas gab es bei uns an der Küste nicht. Das Ossi-Bashing wurde da beständig leiser.

Mir fiel die Eingewöhnung trotzdem zunächst schwer. Ich war eher der Typ „naiver Glücksritter“ und spürte unter Gleichaltrigen oft eine mir unbekannte Ernsthaftigkeit. Und wo die fehlte, war Techno meist nicht weit! Und da war der Osten dem Westen meilenweit voraus und ich kannte mich nicht aus.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Westdeutsche hatten mehr Vermögen und mehr Erfahrung in der Marktwirtschaft. Und in einem System, in dem materielles und immaterielles Vermögen noch die nächsten Generationen ernährt, liegt es auf der Hand, wer Vorteile hatte. Auch wenn Stadt/Land heute wichtiger ist als Ost/West, werden sich Erben in der Pfalz noch auf Jahre hinaus mehr über die wirtschaftlichen Folgen der Wende freuen als Erben in Thüringen.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Manchmal kommt der Egomane in mir durch und ich wünschte, ich wäre zur Wiedervereinigung zehn Jahre älter gewesen. Dann hätte man vielleicht nicht nur eine spannende Partyzeit erlebt, wo aus jedem Güterschuppen in 24 Stunden eine Techno-Location werden konnte, sondern hätte sich mehr mit Dingen wie Immobilienentwicklung beschäftigt. Viele von denen, die das damals getan haben (ja, vor allem Zugereiste) leben heute doch ganz gut davon.

Aber Spaß beiseite: Die wichtigste Erfahrungen für mein Leben war und bleibt: Entscheidend ist nicht das System, sondern der einzelne Mensch.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir für jede Region der Welt, dass Menschen frei und unabhängig leben und wählen können und dabei im Sinne von Gleichheit, Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit die Zukunft gestalten.