Birgit Lohmeyer
Birgit Lohmeyer ist 1958 in Hamburg geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Birgit wohnt aktuell in Jamel, wo sie als Autorin, Dozentin und Festivalveranstalterin arbeitet.
Foto: Justin Frei
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Nach einem halben Leben als Großstadtgewächs zog es mich und meinen Ehemann Horst 2003 aufs Land. Der Hamburger „Speckgürtel“ war zu teuer, aber wir fanden in Mecklenburg, wo wir zuvor oft gewesen waren, eine idyllische Immobilie in Ostseenähe. Das ehemalige historische Forsthaus am Waldesrand und Jamel, das ruhige Dorf ohne Durchgangsverkehr entsprach allem, was wir uns erträumt hatten. Trotz aller Widrigkeiten der demografischen Veränderung sind wir geblieben. Oder vielleicht auch gerade deshalb. Unsere neue Heimat wollten wir nicht widerstandslos den Neonazis überlassen. Wir empfinden es als unsere gesellschaftliche Verantwortung, Stand zu halten gegen die Faschist*innen.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Wir sind ehrenamtliche Demokratieaktivist*innen. In Jamel hat ein Neonazi vor Jahren begonnen, Häuser aufzukaufen, in die dann seine Gesinnungsgenoss*innen eingezogen sind. Sie inszenieren eine national befreite Zone. Nächtelange Feiern, zu denen Hunderte Nazis in unser kleines Dorf einfallen, sind keine Seltenheit. Seit 2007 organisieren wir – mit Hilfe vieler – öffentliche Kunst- und Kulturveranstaltungen bei uns auf dem Hof, darunter das Musikfestival „Jamel rockt den Förster“. So kann die Bevölkerung das Dorf gefahrlos besuchen, Stellung beziehen und mit uns gemeinsam dokumentieren, dass wir weder das Dorf, noch unser Land den Neonazis überlassen werden.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Nein. Ich bin Bewohnerin unseres Planeten und mein Herz schlägt politisch für Europa. Doch als Kind der nationalsozialistischen Täter*innengeneration habe ich mit meiner eigentlichen Nationalität noch immer ein Problem und sehe mich eher als Weltenbürgerin und Europäerin, nicht als Deutsche. Da ich mich nicht deutsch fühle, fühle ich mich also auch nicht ost- oder westdeutsch.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
In Mecklenburg-Vorpommern beobachten wir eine unselige Allianz der in weiten Teilen gewaltbereiten Neonaziszene mit den Rechtspopulist*innen der AfD. Ganze Landstriche sind AfD-dominiert. Ehemalige NPD-Kader werden auf Tarnlisten in Gemeindevertretungen gewählt. Es ist eine nicht zu unterschätzende Bewegung von unten entstanden, die weder vor verbaler noch vor handfester Gewalt zurückschreckt. Doch das Problem wird vielerorts einfach totgeschwiegen oder die Xenophoben und Völkischen-Nationalisten sind in der Mehrheit. Natürlich gibt es auch hier aktive Antifaschist*innen und um die Demokratie Besorgte, die sich nicht von ihrem Engagement abbringen lassen. Es sind jedoch noch viel zu wenige!
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Nach der Wende mussten die Ostdeutschen mit gravierenden Veränderungen zurechtkommen – oft zum Schlechteren. Jobverluste, Nicht-Anerkennung beruflicher Qualifikationen, verödete Landstriche durch Migration in den Westen, Abbau der Infrastruktur, Wegfall der staatlichen (Über-)versorgung, Orientierungslosigkeit gegenüber den Institutionen und den eigenen bürgerschaftlichen Pflichten und Rechten. Die allermeisten Westdeutschen kamen damals nach Ostdeutschland, weil sie hier eine Arbeit bekommen hatten. Oder sie brachten – wie ich – ihren Broterwerb mit. Die oben genannten negativen gesellschaftlichen Veränderungen betrafen mich und viele der westdeutschen Einwander*innen also nicht direkt.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Manche ehemaligen DDR-Bürger*innen können mit den Freiheiten, aber auch der Verantwortung jedes/r Einzelnen in dem für sie neuen Gesellschaftssystem nicht wirklich etwas anfangen. Ihnen muss die Demokratie vermittelt werden. Gerade in meiner Generation haben die Menschen eine deutlich andere Mentalität als jene aus Westdeutschland – etwa bei Offenheit gegenüber anderen, freier Meinungsäußerung, Übernahme von Selbstverantwortung, selbstbestimmtem Engagement. Dies führt oft zu Missverständnissen in der Kommunikation. Wir sprechen zwar eine Sprache, denken und reagieren aber doch manchmal recht unterschiedlich. Bei der jungen Generation hat sich das allerdings bereits deutlich abgeschliffen.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ein größeres Augenmerk auf die politische Bildung. Eine stärkere gesellschaftliche Durchmischung (Herkunft, Bildungsgrad, Geschlechtergerechtigkeit) vor allem auf dem Land. Dass multikulturelle Vielfalt nicht als Gefahr, sondern als Gewinn und Bereicherung angesehen wird. Eine größere Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden bei Rechtsradikalen, Reichsbürger*innen, der AfD und ihren Anhänger*innen. Mündige Bürger*innen, die nicht auf die verführerisch einfachen Parolen der Populist*innen, Rechtsradikalen und Verfassungsfeinde mit ihren scheinbar so einfachen Lösungen hereinfallen, sondern die Haltung zeigen und Verantwortung für unser Gemeinwohl übernehmen.