Wir sind der

Osten

Friederike Schicht

Friederike Schicht ist Journalistin für MDR & WDR und 1991 in Köthen geboren.

Zurückgekehrt: Friederike wohnt aktuell in Leipzig.

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Fotograf: Philipp Pongratz

Weshalb bist du gegangen?

Ich bin wegen meines Volontariats nach Köln gegangen. Das ist mir damals ziemlich schwer gefallen. Zu dem Zeitpunkt habe ich schon sechs Jahre in Leipzig gelebt und es geliebt. Und dann bin ich doch, wie viele vor mir, für die Karriere und den Job in den „Westen“ gegangen. Köln mochte ich überraschend gern, merkte aber schnell, dass es mich anstrengt, dass so viele Menschen auf so einem kleinen Raum leben, die Mieten so hoch und die Häuser so hässlich sind, dass viele meiner besten Freund:innen fast fünf Stunden von mir wegwohnen. Genauso meine Familie. Und immer wenn ich dann wieder in Leipzig war, habe ich die schöne Architektur, das viele Grün und die unglaublichen Freiräume in mich aufgesogen.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin niemand, die schon mit zehn wusste, ich werde Journalistin. Ehrlicherweise war ich nach dem Abitur ziemlich orientierungslos und habe studiert, was mir lag. Also irgendwas mit Kommunikation. Der Journalismus hat sich dann über die Hintertür in mein Leben geschlichen. Besiegelt habe ich das mit meinem Journalistik-Master in Leipzig und dem Volo beim WDR in Köln. Heute arbeite ich als Hörfunk-Reporterin, Redakteurin für einen MDR-Polittalk und im Bereich Social Media für das ARD Moma. Mein großes Herzensprojekt, das ich 2020 endlich umsetzen konnte, ist der Podcast „Kohl Kids – Leben mit der Einheit“. In dem zwei Nachwendekinder aus Ost und West über ihre Kindheit und Jugend reden.

  • 1991

    Köthen

  • Köln

  • 2021

    Leipzig

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

2 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich war ganz lange die erste Gesamtdeutsche in meiner Familie. Meine Eltern wollten, dass Ost und West für mich einfach keine Rolle mehr spielen. Ich bin in dieser Überzeugung aufgewachsen – bis ich dann nach Köln gezogen bin und das erste Mal in meinem Leben die Ostdeutsche war. Ich habe schnell gemerkt, wow, ich bin doch ziemlich anders aufgewachsen. Sehr eng mit meinen Großeltern, weil meine Eltern beide Vollzeit gearbeitet haben, ich war zeitig in Betreuungssystemen, schneller eigenständig als meine „West“-Freund:innen. Das, was man dort abfällig Schlüsselkind nennt.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Ich bin anders ostdeutsch als meine Eltern. Ich bin kein Ossi, ich bin ein Nachwendekind. Großgeworden in den 90ern. Als viele Eltern meiner Freund:innen ihren Job verloren haben und das Schwimmbad, die Schule zumachte. Ich habe den Ausverkauf miterlebt. Sich verloren fühlen, das ist auch ein Teil des Ostdeutschseins. Es bedeutet, auch Umbrüche zu kennen und Sicherheiten nicht zu vertrauen. Gleichzeitig fühlt sich das Ostdeutsche in mir auch ehrlich und authentisch an. Ich bin mit Freund:innen groß geworden, die nicht privilegiert waren. Ich habe nicht in einer Blase gelebt, wie jetzt manchmal. Geld gab es nicht im Überfluss, deswegen bin ich heute noch sparsam und irgendwie bescheiden.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir für Ostdeutschland, dass wir uns nicht mehr damit abmühen, uns an den vermeintlichen „West“-Standard anzugleichen. Das hat die letzten 30 Jahre nur zu Frustrationen geführt. Wir sollten unsere Eigenheiten akzeptieren. Was nicht heißt, dass wir uns mit schlechteren Löhnen, weniger Spitzenpositionen und Klischees abfinden sollten. Wir sollten selbstbewusster auftreten. Uns aber nicht überhöhen. Denn Ostdeutschland hat Probleme, gravierende zum Teil. Die wurden lange genug klein geredet. Wir sollten sie ansprechen. Und uns öffnen. Zu oft begegne ich einer Wagenburg-Mentalität, vielleicht gab es zu viele Verletzungen.