Volkmar Zschocke

Volkmar Zschocke ist Mitglied des Landtages (B’90/Grüne) in Sachsen und 1969 in Karl-Marx-Stadt geboren.

Geblieben: Volkmar wohnt aktuell in Chemnitz.

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Weshalb bist du geblieben?

Weil ich nicht wegwollte. Ich wollte ein freies, wirklich demokratisches und reformiertes Land – ohne Stasi, Grenzen und staatliche Repressalien. Ich glaubte damals ernsthaft, es sei möglich, auf Augenhöhe mit der BRD gemeinsam Schritt für Schritt einen Zusammenschluss beider Staaten zu verhandeln. Diese jugendliche Illusion wurde von der unaufhaltbaren Dynamik der schnellen Wiedervereinigung überrollt. Geblieben ist bei mir der starke Impuls, hier mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf vermeintliche Heilsbringer zu hoffen.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Nicht nur die staatliche Willkür und die Überwachung in der DDR haben mich politisiert. Unmittelbar vor meinen Kinderaugen fand damals eine dramatische Umweltzerstörung statt: Das Waldsterben im Erzgebirge, die stinkende Kohleindustrie im Südraum Leipzig, der Schaum auf den toten Flüssen. Spätestens nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl war mir endgültig klar, dass ich all diesen bedrohlichen Entwicklungen nicht einfach nur zuschauen kann. Nach ´89 war es endlich möglich, sich ohne Angst vor Verfolgung zu engagieren.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Ich wuchs in einem autoritären System auf. Als Jugendlicher stieß ich an viele Grenzen. Daher ermutige ich junge Menschen, einen großen Schritt in die Welt zu wagen: Auslandspraktikum, Erasmus+ oder internationale Freiwilligeneinsätze – es gibt heute so viele Möglichkeiten, Grenzen zu überwinden. Wenn sie zurückkommen wollen, finden sie in Ostdeutschland viele Möglichkeiten für den Aufbau einer Perspektive – über die freien Stellen, gemeinsam im Verein oder im selbst gegründeten Unternehmen. Es gibt Raum zum Experimentieren, Brachen, die auf neue Nutzung warten und Menschen, die neue Wege gehen wollen. Vieles ist hier noch gestaltbar. Wer machen statt zuschauen will, ist hier genau richtig.

  • 1969

    Karl-Marx-Stadt

  • 2021

    Chemnitz

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Chemnitz und dem Erzgebirge bin ich seit meiner Kindheit tief verbunden. Meine Familie stammt von hier, meine Kinder sind hier aufgewachsen und ich lebe hier. Ich habe eine starke und auch emotionale Bindung zu Landschaft, Brauchtum und Industriekultur. Heute ist das Erzgebirge Weltkulturerbe und meine Heimatstadt europäische Kulturhauptstadt. Ein Chemnitzer in Europa zu sein, kommt meinem Gefühl viel näher als der Begriff „ostdeutsch“.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Bei uns BÜNDNISGRÜNEN gibt es seit geraumer Zeit einen deutlichen Zuwachs an jungen Menschen, die sich parteipolitisch einmischen. Sie sind nicht durch negative Erfahrungen mit politischer Indoktrination oder erzwungenem gesellschaftlichem Engagement geprägt wie vielleicht Großeltern oder Eltern in der DDR. Dazu kommt, dass junge Frauen bei uns reale Chancen auf Führungs- und Spitzenpositionen haben. Familie, Beruf und politisches Ehrenamt müssen aber besser miteinander vereinbar sein. Gerade auf der kommunalpolitischen Ebene geht es mir auch um Schutz der Ehrenamtlichen vor Angriffen und eine neue Kultur der Anerkennung der immensen Arbeit der Entscheidungsgremien.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Dort, wo ich Einflussmöglichkeiten habe, setze ich mich für faire Aufstiegschancen für Menschen mit ost-deutscher Biographie ein. Da geht es beispielsweise um den Anteil Ostdeutscher in den Führungspositionen der Landes- und Kommunalverwaltung in Sachsen. Wichtig ist auch ein selbstbewusstes Eintreten gegenüber den Bundespolitikerinnen und -politikern für mehr Bundesbehörden und Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland. In den Strukturwandelregionen entstehen neue Chancen durch Wissenschafts- und Zukunftsinvestitionen. Deshalb unterstütze ich beispielsweise den Aufbau wasserstoffbasierter Energietechnologie im industriellen Maßstab hier in Südwestsachsen.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Vor allem drei Dinge. Erstens dass es gelingen möge, den unzähligen individuellen Abwertungserfahrungen, die Ostdeutsche in den letzten drei Jahrzehnten machen mussten, ein neues, zukunftsgewandtes Selbstbewusstsein entgegenzusetzen. Zweitens, dass auch die Probleme, die durch den schnellen Umbruch in den 90ern entstanden, weiter thematisiert und aufgearbeitet werden und die Feindbilder aus der Nachwendezeit nicht bis in die nächste Generation hineinwirken. Drittens, dass das Ringen um demokratische Kultur, um eine gemeinsame Basis für kontroversen, aber konstruktiven und immer respektvollen Streit die Spaltung der Gesellschaft überwinden hilft.