Wir sind der

Osten

Alexander Sängerlaub

Alexander Sängerlaub ist Journalist, Publizist und Kommunikationswissenschaftler und 1986 in Berlin-Prenzlauer Berg geboren und aufgewachsen. Für kurze Zeit hat er in Hamburg gelebt.

Zurückgekehrt: Alexander wohnt heute in Berlin.

Foto: privat

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Weshalb bist du zurückgekehrt?

Ich bin Berliner, auf beiden Seiten zuhause, und merke doch noch immer, dass die Stadt auch 30 Jahre nach der Wende noch nicht ganz zusammengewachsen ist. Im Osten: Straßenbahn, im Westen: U-Bahn. Jede Seite: einen Zoo, einen Flughafen, eine Oper (im Osten sogar zwei). Die West-Bezirke ticken noch immer anders als die Ost-Bezirke – das muss man sich nur auf der Karte angucken, wenn Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahlen sind. Insofern ist Berlin eine Bubble für sich, aber auch ein verkleinertes Abbild Deutschlands: Die urban-hippe Mitte von Friedrichshain bis Schöneberg grün, die konservativen Westbezirke schwarz, der Osten tiefrot oder sogar blau. Überall ein bisschen SPD.

Fußnote: In einer früheren Version sprach ich von zwei Opern im Westen der Stadt. Ich bin offensichtlich viel zu selten in der Oper ;-)

Wie gestaltest du die Zukunft?

Mein Herz schlägt für den Journalismus und unsere demokratischen Öffentlichkeiten. Und das auf allen Ebenen: Was brauchen Demokratien für Informationsökosysteme, um ordentlich zu funktionieren? Wie verändert der digitale Strukturwandel unsere Öffentlichkeiten? Wie kann und muss sich Journalismus im digitalen Zeitalter weiterentwickeln? Diesen Fragen widme ich mich als Direktor von futur eins, einer Organisation, die unsere digitalen Öffentlichkeiten verbessert. Davor habe ich in der Stiftung Neue Verantwortung den Programmbereich „Stärkung digitaler Öffentlichkeit“ mitaufgebaut und ein utopisches Politikmagazin (Kater Demos) herausgegeben.

  • 1986

    Berlin

  • Hamburg

  • Heute

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

2 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Bin eigentlich kein großer Fan von irgendwelchen Schubladen. In erster Linie bin ich Mensch. Vielleicht auch ein bisschen Berliner und Europäer und, wenn es darauf ankommt, den politischen Erklärbär zu spielen, dann eben auch mal „Ossi“. Ich bin Jahrgang 86, beim Mauerfall war ich drei. Meine Oma, die direkt am Bornholmer Grenzübergang wohnt, behauptet noch immer, dass ich beim ersten Mal im Westen als Kind angeblich über die vielen Farben gestaunt habe. Mein Opa: Wohnte in Bitterfeld, meine Mama nun auch. Im Osten schätzten beide den sozialen Zusammenhalt, aber waren gegen das politische System, im Westen schätzen sie die Freiheit, aber nicht das Wirtschaftssystem. Mein Opa, früher bei der Außenhandelsbank der DDR als Ökonom tätig, fühlte sich in beiden Deutschlands politisch nicht zuhause. Das alles hat mich sicherlich mitgeprägt.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Die Brüche haben alle in meiner Familie: Mein Opa konnte nicht mehr als Ökonom arbeiten, der Abschluss meiner Oma wurde nicht anerkannt, meine Mama versuchte sich im Westen als Immobilienmaklerin, mein Vater – im Osten erfolgreicher Musiker – sattelte auf Filmmusik um. Nicht jeder von ihnen hat sich mit dem Westen arrangieren können. Einige haben es besser, andere schlechter geschafft. Sie eint diese einschneidende Erfahrung, dass im Westen eben nicht „alles besser“ wurde, aber auch nicht „alles schlechter“, vor allem wurde es „anders“. Das hilft, vieles zu verstehen: Den Frust im Osten über die Besserwessis, der Wunsch nach Anerkennung für die Lebensleistung.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Mehr mediale Repräsentanz – alle wichtigen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine sitzen ausnahmslos im Westen. Der Blick auf den Osten wird besser, ist aber noch immer von einem exotischen Unverständnis geprägt, wenn westdeutsche Journalisten scharenweise ostdeutsche Dörfer nach Wahlen besuchen, um über die seltsame Spezies des Ossis zu schreiben. Wir brauchen mehr Gespräche miteinander, mehr Austausch, mehr Respekt, aber auch mehr Interesse an der Geschichte der anderen. „Deutschland spricht“ – finde ich als Initiative der ZEIT prima; warum nicht mal der Osten mit dem Westen?