apl. Prof. Dr. Alexander Thumfart
apl. Prof. Dr. Alexander Thumfart ist 1959 in Uffenheim geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Alexander wohnt aktuell in Erfurt, wo er als Professor für Politikwissenschaften lehrt.
Foto: Hamish John Appleby
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Im Herbst 1990 durfte ich an der TH Ilmenau (heute TU) als Lehrbeauftragter für das Studium Generale anfangen. Das war unglaublich spannend, eine Kombination aus Experiment, Freiraum, Neugierde und Abenteuer. Deshalb habe ich mich auch gleich auf eine Stelle an der PH Erfurt im Fachbereich Politikwissenschaft/Politische Theorie beworben und bin im Frühjahr 1994 dorthin gezogen. Übrigens: für Bezahlung Ost, also ohne „Buschzulage“ – und das war gut so. Für mich, der keinerlei Verwandte in der DDR hatte, war das Neuland und eine unglaubliche bereichernde Erfahrung – mit Höhen und Tiefen, Freude, Enttäuschung, manchmal auch Irritationen. Ich würde es jederzeit wieder tun.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Mittlerweile bin ich 40 Jahre an der Universität, zunächst als Studierender, dann und bis jetzt als Lehrender. Ich empfinde dieses akademische Leben nach wie vor als Privileg. Die Dinge, die ich gelernt habe und die ich kann, gebe ich weiter an junge Menschen, weil ich glaube, dass dieses Wissen hilfreich sein kann, um die Gegenwart besser zu verstehen und mithelfen kann, die Zukunft gemeinsam vernünftig zu gestalten. Diesen Gedanken der Aufklärung fühle ich mich verpflichtet. Außerdem gibt das Lehren mir die Möglichkeit, mit den jungen Menschen gemeinsam weiter zu lernen und immer wieder neue Dinge, Themen, Konstellationen, Gefahren und Risiken kritisch zu durchdenken.
1959
Uffenheim
München
Kempten
Tübingen
Augsburg
Erfurt
Freiburg
2020
Erfurt
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Weder noch. Ich bin nicht mehr westdeutsch und ich bin nicht ostdeutsch. So what!
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Große Herzlichkeit und Neugierde, aber auch Ablehnung und Hass. Ich habe mit neuen Freund*innen wunderbare Abende verbracht und wurde in Jena von Neo-Nazis umstellt. In manchen Lokalen gab es anfangs zwei Speisekarten. Die für Wessis hatte höhere Preise. Jetzt kommen solche Animositäten wieder – und mit meinem Fränkisch-Münchner-Akzent gehe ich nicht als Ger’scher durch. Das schmerzt manchmal. Vorurteile gibt es nach wie vor, in Ost und West. Als Stadtrat hatte ich auch beglückende Begegnungen, da war ein wechselseitiges Verstehen und Anerkennen, ein Respekt vor Unterschieden. Aus meinem Abiturjahrgang aus dem Allgäu bin ich übrigens der einzige im Osten. Das ist so schlecht und schade.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ja, hatten sie. Beruflich, ökonomisch, vom Auftreten her, von der Erfahrenheit im Umgang mit der sozialen-kapitalistischen Wirtschaft und dem demokratischen System. Außerdem gerierte sich eine ganz Zahl von Westdeutschen als Leitnorm. Und die hat es im Alltag immer leichter, zumal das komplett neue politisch-ökonomische System tatsächlich die Leitnorm war. Ich bedauere es nach wie vor, dass es keine verfassungsgebende Versammlung nach Artikel 146 des Grundgesetzes gegeben hat.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Respekt und Achtung vor anderen Erfahrungen, Zuhören. Ich habe gelernt, dass gesellschaftliche Bedingungen Menschen in ganz großem Maße formen – hüben wie drüben. Was auch immer für was stehen mag. Was ich bin, ist auch ein Produkt der Gesellschaftsgeschichte. Deshalb bin ich mir sicher: Wir brauchen immer etwas Selbstdistanz, und sei es nur ein halber Schritt Abstand vom eigenen Denken, Handeln, Urteilen, hüben wie drüben. Ohne Selbstdistanz auch kein Humor, den wir noch dringender brauchen, hüben wie drüben. In meiner Habilitationsschrift habe ich mich auf 1.000 Seiten mit der „Politischen Integration Ostdeutschlands“ befasst – und tue es bis heute. Ich bin immer wieder fasziniert.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Mehr kritisches, nüchternes Selbstbewusstsein. So viele Menschen haben so viel gemacht, getan, gelitten, gewonnen, geleistet. Da muss niemand sich mit dem Westen vergleichen, sondern kann ganz für sich stehen. Auch dann nicht ins Jammern, Anklagen oder Verklären der Vergangenheit verfallen. Schlechtes schlecht nennen, und Gutes gut. Und ehrlich abwägen, wie es aussieht und die Gewichte verteilt sind.