Alfred Hansel
Alfred Hansel ist 1961 in Langlau/Pfofeld geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Alfred wohnt aktuell in Jena. Er ist Diplom-Biologe.
Foto: Eberhard Schorrs
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Mein erster Job nach der Promotion hat unsere Familie nach Uppsala, Schweden geführt. Von dort musste aber ein Weg zurück in die deutsche Arbeitswelt gefunden werden. In Jena bot sich die Mitarbeit in einer an die Uniklinik angegliederten Forschergruppe an – so sind meine Frau und ich mit zwei kleinen Kindern, damals vier und sieben Jahre alt, im Osten gelandet. Wir haben uns ohne Vorbehalte zügig privat integriert, bei den Kindern war dies durch Kindergarten und Schule beschleunigt. Irgendwann wollten wir keine teure Miete mehr aus dem Fenster werfen und haben ein Haus gebaut. Jena ist irgendwie die Mitte, hat genau die richtige Größe, ein kulturell spannendes Umfeld. Wir fühlen uns sehr wohl hier!
Wie gestaltest du die Zukunft?
Ich bin Vollblutwissenschaftler, promovierter Molekularbiologe. Vor über zehn Jahren habe ich aus einer Forschergruppe heraus gemeinsam mit weiteren Leuten ein Projekt zur Verbesserung der Krebsdiagnostik gestartet. 2012 entstand daraus die oncgnostics GmbH, die ich seither mit meiner Mitgründerin Martina Schmitz leite. Während der Entwicklung unseres ersten Tests für die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs haben wir hier in Jena ein ambitioniertes Team aufgebaut, mit dem wir inzwischen auch für andere Anwendungsbereiche Tests entwickeln. Fast alle unsere Mitarbeiterinnen stammen aus dem Osten – sie haben Frau Schmitz und mich, beide Wessis, sehr gut integriert.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Ich fühle mich weder ostdeutsch noch westdeutsch. Dazu tragen sicherlich auch die Erfahrungen bei, zweieinhalb Jahre im Ausland, nämlich in Schweden gelebt zu haben. Aufgrund meiner derzeitigen Position bin ich viel auch im Ausland, nah und fern, unterwegs, sehe mich als Erdenbürger. Es gab bisher nicht sehr viele Orte die ich besucht habe, an denen ich mich nicht einigermaßen wohl gefühlt hätte. Wenn ich mich als jemand innerhalb der deutschen Grenzen fühle, dann als Franke!
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Einige haben schon die bekannte Frage gestellt: „Was, in den Osten?“ Wir haben aber selber schnell gemerkt, dass Jena gar nicht so sehr „der Osten“ ist, da nach der Wende recht schnell recht viele Menschen aus dem Westen zugezogen sind. Und Familie und die meisten Freunde wollten dann doch wissen, ob sie hier ihre Vorurteile bestätigt finden würden. Spannend wird es, sobald man den Menschen, die im Osten aufgewachsen sind, näher kommt, da die doch ganz andere Geschichten aus ihrem Leben vor 1990 zu berichten wissen. Wir haben die neuen Bundesländer seit wir hier sind, auch speziell „erfahren“, nämlich per Rad. Wer noch nie im Osten war, weiß nicht was er/sie verpasst.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ja. Ganz schnell nach der sogenannten Wende wurden ja aus dem Westen Strukturen transferiert, westdeutsche Firmen haben ostdeutsche Betriebe übernommen, westdeutsche „Experten“ wurden gleich mitgeschickt. Die hatten es damit schon leichter, in gewisse Positionen zu kommen als Ostdeutsche. Das wirtschaftliche und das politische System wurden ja weitgehend vom Westen übernommen, und mit deren Mechanismen sind die Ostdeutschen nicht aufgewachsen. Die meisten haben aber definitiv gelernt, sich dennoch durchzubeißen.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Jena liegt in einer sehr geschichtsträchtigen Gegend. Wir haben hier viel über die deutsche Geschichte gelernt, und zwar nicht nur die jüngere. Mitteldeutschland ist reich an Kultur der letzten 5.000 Jahre! Die Himmelsscheibe von Nebra, Fürstengrab Leubingen, Naumburger Dom und die Romanik, Goethe, Schiller, Wieland. Eine jahrhundertealte Weinkultur! Natürlich auch, und nicht zuletzt: Nazis, Buchenwald!
Deutsche Geschichte ist hier ganz nah: Der Flickenteppich aus Herzog- und Fürstentümern war ja sehr ausgeprägt, das ist ja alles erst vor 100 Jahren verschwunden, als der Freistaat Thüringen gegründet wurde. Wobei die jetzige Landeshauptstadt Erfurt da noch zu Preußen gehörte.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir, dass die großen Vorzüge Ostdeutschlands, die wir in den letzten 20 Jahren als Familie so sehr genossen haben, breiter wahrgenommen werden. Einen differenzierten Blick wünsche ich mir auch: All das hierher geflossene Geld hat viel zur Entwicklung und Erhaltung der Infrastruktur, zur Sanierung historischer Innenstädte etc. beigetragen. Das nutzt alles nichts, solange in diesen schnuckeligen Vorzeigestädten keine Perspektiven z.B. für Arbeitsplätze bestehen. Da würde ich mir den Unternehmermut auch großer Firmen wünschen, nicht nur in Jena oder Leipzig sich ansiedeln zu wollen, sondern vielleicht auch in Torgau oder Zeitz.