Wir sind der

Osten

Angelina Richter

Angelina Richter ist 1980 in Kisdorferwohld geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Angelina wohnt aktuell in Dresden, wo sie als Landschaftsarchitektin arbeitet.

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Nach meiner Ausbildung, die ich in Hamburg absolvierte, wollte ich gern Landschaftsarchitektur studieren. Dresden war eine Stadt, die ich von Freunden kannte: Sie verband ein freies, buntes, lustiges, kostengünstiges und alternatives Studentenleben mit viel Kultur, Architektur und toller Natur! Außerdem fand ich es sehr spannend, gegen den Strom zu schwimmen – nach Ostdeutschland. Hier fand ich gute Freunde, lernte Klettern und Höhlen befahren, wanderte durch die Sächsische Schweiz und beendete mein Studium. Dann war meine erste Tochter unterwegs, etwas später mein Sohn, die Familie war gegründet. Mein Herz hing immer noch an der norddeutschen Heimat, aber in Dresden fühlte ich mich wohl.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Beruflich arbeite ich momentan angestellt beim Freistaat Sachsen. Hier bin ich im Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement zuständig für diverse Freianlagen an der TU Dresden und an den anderen Hochschulen im Stadtgebiet Dresden. Ich gestalte zwar nicht selbst, leite aber die Projekte, binde Planer, Gutachter und ausführende Firmen ein, um den Bedürfnissen der Nutzer und notwendigen baulichen Sanierungen und Veränderungen gerecht zu werden.

Im Nebengewerbe bin ich selbstständig tätig. Früher habe ich in der Mediengestaltung freie Aufträge ausgeführt, mittlerweile vermiete ich ein Ferienzimmer an Gäste aus aller Welt in unserer Wohnung, die zentral an der Elbe zwischen Neustadt und Altstadt liegt. Das bringt viel Freude!

  • 1980

    Kisdorferwohld

  • Texas

  • Hamburg

    Gib hier den Inhalt des Meilensteines

  • Neuseeland

  • Heute

    Dresden

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Ich bin im Herzen Schleswig-Holsteinerin, bekomme Herzflattern bei einem plattdeutschen Beitrag oder bei einer Reise zu einer Nordseeinsel, wenn mir der Wind um die Ohren weht. Das Grün der Wiesen ist unschlagbar. Ich bin nie warm geworden mit dem sächsischen Dialekt, mit der Einstellung zu frühem Beginn der Schulen und Unis, mit dem muffeligen Verkäufer beim Bäcker oder beim Klamottenkauf. Es gibt eine grundlegende Unzufriedenheit, manchmal Neid, auch das Gefühl vom Abgehängtsein. Das äußert sich in Schimpfen über die da oben oder die aus dem Westen oder generell die heutige Zeit. Das finde ich schwer zu akzeptieren. Besonders nach einer langen Reise wird dies deutlich.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Der Osten ist anders als meine norddeutsche Identität. Ein großes Problem habe und hatte ich mit rassistischem Gedankengut, das kenne ich so nicht aus meiner Heimat, ich denke z.B dabei an die Demos um den 14. Februar in Dresden. Auch anderes tief verankertes Gedankengut war mir neu: geteiltes Eigentum in Wohnungsgenossenschaft beispielsweise oder die Einstellung zu Kommerz und wirtschaftlichem Handeln.

Aber ich mochte auch die WGs, von Anwohnern organisierte Straßenfeste oder große Hausparties. Wir waren in einem Kindergarten, der aus einer Elterninitiative entsprang, das war eine tolle Gemeinschaft. In Hamburg war es eher abgegrenzter und unpersönlicher.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Sie hatten Vorteile, weil ja ihr Wirtschaftssystem auf Ostdeutschland gestülpt worden ist. Den Kapitalismus gab es im Westen vorher, es gab viel Geld und die Erfahrungen, dieses zu vermehren. Da waren die Vorraussetzungen einfacher, zum Beispiel, um Häuser aufzukaufen und zu vermieten, oder ein Unternehmen zu gründen und neue Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Man wusste aus dem Westen, wie das funktioniert, und brauchte es nur anzuwenden. Im Osten herrschten vorher andere Regeln, Zusammenhalt war wichtig, auch Dinge zu reparieren und Tauschkreise zu bilden. Das kam im Kapitalismus nicht vor. Wobei die Wessis sicher die ungeliebten Lehrmeister waren, die alles besser wussten.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Ich liebe Wendegeschichten. Die einzelnen individuellen Erfahrungen und Gefühle von damals, als plötzlich alles anders war. Den extremen Wandel, den manche Menschen hier erleben mussten, haben Menschen im Westen keineswegs erleben müssen. Es muss sehr schwer gewesen sein, wenn alle Autoritäten und Bezugspersonen plötzlich nicht so recht wussten, was da eigentlich gerade passiert. Lehrer, Eltern, Verwandte, Bürgermeister etc.. Da wurden persönliche Geschichten geschrieben oder abrupt beendet.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass die Löhne sich angleichen, dass nicht nur der öffentliche Dienst sondern auch die privatwirtschaftlichen Unternehmen den Menschen endlich gleiche Löhne zahlen. Ich hab es an eigener Haut gemerkt, wie schwer es sein kann, mit der Familie auskömmlich zu leben, selbst als Diplom-Ingenieurin. Ich wünsche mir, dass der Osten auch endlich stolz auf sich und seine Heimat sein kann, nicht so stoisch und ignorant wie die Nazis, sondern echter Stolz auf Geleistetes und eine florierende Wirtschaft. Ich wünsche mir, dass die Westdeutschen den Osten endlich nicht mehr belächeln. Ich sehe oft ein (künstlich erzeugtes) Gefälle von Ost nach West, das muss sich ändern.