Wir sind der

Osten

Anja Heyde

Anja Heyde ist Journalistin und Moderatorin und 1976 in Leisnig geboren und in Waldheim aufgewachsen.

Gegangen: Anja lebt heute in Berlin.

Foto: Steffi Henn

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Weshalb bist du gegangen?

Warum verlässt man seine Heimat? Weil man dort, wo man lebt, nicht mehr das findet, was man braucht. In meinem Fall: einen Job. Wohin geht man? Dahin, wo die Jobs sind. Ich bin am Ende in Berlin gelandet, weil Ende der 90er Jahre dort für Kreative und Schreibende einfach unglaublich viele Möglichkeiten zur Verfügung standen.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Als Journalistin gehöre ich wahrscheinlich zu den von Natur aus neugierigen Menschen. Ich habe das Privileg, in die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Menschen zu schauen. Ich lerne die einfachsten Menschen und Minister der aktuellen Regierung kennen. Ein Spagat, der den Blick auf die Welt unglaublich weit macht. Ich liebe das. Und als Journalistin und Moderatorin bin ich dann auch noch diejenige, die zwischen diesen Welten vermittelt. Diese verschiedenen Menschen mit den verschiedenen Perspektiven zusammenbringen kann und es auch tatsächlich tut – auf Veranstaltungen zum Beispiel. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht irgendetwas Neues lerne. Meine Güte, was für ein Glück ist das. Man weiß dann aber auch: Einfache Antworten gibt es nicht. Ich glaube immer noch daran, dass man Komplexität so erklären kann, dass nicht sofort jeder einen Knoten im Gehirn bekommt. Zumindest sehe ich das als meine Herausforderung an. Ich kenne das Gefühl, an der Welt zu verzweifeln, deshalb bin ich Schirmherrin der Ernst-Kirchner-Stiftung. Einer Stiftung für mehr Lebensfreude für psychisch kranke Menschen. Und ich arbeite in der Andreas-Mohn-Stiftung mit, die sich viel für mehr Bildung und Chancengleichheit von Kindern einsetzt. Es kann nicht sein, dass eine Karriere davon abhängt, in welchen Haushalt man geboren wird.

  • 1976

    Leisnig

  • Leipzig

  • Rostock

  • Heute

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich fühle mich so ostdeutsch wie nie zuvor. Aber ich bin es erst in den vergangenen 3-4 Jahren geworden. Lange habe ich nie über meine Herkunft gesprochen. Das lag daran, dass ich der Tatsache, woher ich komme, nie viel Bedeutung geschenkt habe. Klar hat die soziale Herkunft Einfluss darauf, wie man denkt und fühlt und wie man tickt. Aber die geografische? Im Fall der Ostdeutschen spielt es aber sehr wohl eine Rolle. Wenn die Frage aufkommt, wo man geboren ist und dann als erstes hört: „Das merkt man dir gar nicht an“, dann fragt man sich nach einer Weile: Woran hätte man denn merken sollen, dass ich Ossi bin? Daran wie ich aussehe? Wie ich spreche? (Ja, ich bin Sachse – und nein, man hört es nicht.) Oder daran, dass ich gleich auf den ersten Eindruck wirke wie ein träger, arbeitsfauler Sack? Ich verstehe durchaus, dass es Ostdeutsche gibt, die sich fühlen, als wären sie Menschen zweiter Klasse. Mir geht es zum Glück nicht so. Aber ich kenne genug, die dieses Privileg nicht haben. Ein für alle mal: Es gibt ihn nicht, DEN Ossi. Das sind alles verschiedene Menschen mit verschiedenen Geschichten.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Als die Mauer fiel, war ich 13 Jahre alt. Alt genug, um zu verstehen, was passiert. Alt genug, um noch im DDR-Alltag sozialisiert zu sein. Aber zu jung, um die Verantwortung zu übernehmen, die dann auf mich zukam: Zwei arbeitslos gewordene Erwachsene (meine Eltern) auffangen, die im neuen System, mit den neuen Regeln und den neuen Ansprüchen an sie und ihr Leben nicht zurecht kamen. In einer Zeit, in der Pubertät, in der man eigentlich mit sich selbst beschäftigt ist und Halt braucht, keinen Halt zu haben, ist eine verdammt harte Erfahrung. Aber diese Zeit hat mich stark gemacht: Ich kann aushalten; ich kann Veränderungen annehmen, auch wenn sie plötzlich und unerwartet kommen; ich kann spüren, wie es den Menschen um mich herum geht und ich kann Verantwortung übernehmen für mich und andere, viel mehr als eigentlich gut ist. Ich habe erlebt, was es heißt, einen Transformationsprozess zu bewältigen, der größer und mächtiger war als all das, was wir uns hätten vorstellen können. Auch ich habe Angst vor dem, was die Digitalisierung mit dieser Gesellschaft macht. Aber ich habe vielleicht ein bisschen mehr Gelassenheit, weil ich weiß, das man das bewältigen kann und Strategien habe, mit Umbrüchen umzugehen. Wenn der eine Weg nicht funktioniert, nehme ich halt einen anderen. Für mich zählen bis heute Titel, Abzeichen, Abschlüsse und Auszeichnungen nicht viel – es zählt, WIE ein Mensch ist. Und wie er sich anderen Menschen gegenüber verhält. Am Ende hatte ich viel Glück, dass ich offensichtlich zu denen gehöre, die annehmen und weiterlaufen konnten. Ich kenne aber viele, die in Starre und Angst verharrt sind und die nicht nur darin steckengeblieben sind, sondern dieses Gefühl weitervererben.