Anke Domscheit-Berg

Anke Domscheit-Berg ist Publizistin und Mitglied des Bundestags (Die Linke). Sie ist 1968 in Premnitz geboren und in Münchberg aufgewachsen.

Zurückgekehrt: Anke wohnt aktuell in Fürstenberg (Havel).

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Weshalb bist du zurückgekehrt?

Ich zog 1991 in den Westen, weil es im Osten für mich keine Arbeit gab. Das Arbeitsamt bot mir eine Umschulung zur Agrartechnikerin an, das war für mich keine Option. In Hessen fand ich Arbeit und Unterkunft bei einer Freundin meiner Mutter. Aber Frankfurt (Main) blieb mir fremd. Als Ostdeutsche begegneten mir viele Vorurteile. Als meine dortige Beziehung in die Brüche ging, zog ich zurück nach Ostberlin. Ich fühlte mich wieder zuhause, musste mich nicht ständig erklären, keiner fragte mehr, warum ich nicht Sächsisch rede. Nach meinem Umzug in den Norden von Brandenburg bin ich endgültig angekommen, hier habe ich Wurzeln geschlagen.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Das erste Mal wurde ich zur Wende in der DDR politisiert. Ich engagierte mich als Studentin für das Neue Forum. Der Mauerfall prägte mich, ich habe damals begriffen, dass auch unvorstellbar große, gesellschaftliche Veränderungen möglich sind, wenn sich viele engagieren. Seitdem halte ich jede große Veränderung für potenziell möglich, das ist mein innerer Motor. Die Klimakrise ist zum Beispiel anders gar nicht zu bewältigen. Aber auch die Digitalisierung ist eine Revolution, die fast alles verändert, die Art dieser Veränderungen können wir noch beeinflussen. Das treibt mich an. Ich möchte die digitale Revolution mit einer sozialen Revolution verbinden und Klimagerechtigkeit erreichen.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Mit meinem Mann und anderen gründete ich den „Verstehbahnhof“ in Fürstenberg, unter anderem mit offener Werkstatt (mit 3D Druckern, Lasercuttern und anderen Geräten), digitalem Klassenzimmer, Ton- und Videostudio verbunden mit guten digitalen Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche. Der Verstehbahnhof wurde auch ein Jugend hackt Lab. Junge Menschen können Talente entwickeln und Einblicke in Berufsbilder gewinnen, die auch auf dem Lande möglich sind. Unser nächstes Projekt ist ein kostenfreies, schnelles WLAN für den Ort, denn Zukunft im ländlichen Raum braucht digitale Infrastruktur. Wir vermitteln der nächsten Generation, dass man überall die digitale Gesellschaft mitgestalten kann.

  • 1968

    Premnitz

  • 1987

    Schneeberg (Erzgebirge)

  • 1991

    Kriftel (Hessen)

  • 1992

    Frankfurt (Main)

  • 1995

    Newcastle upon Tyne (England)

  • 1998

    Ost-Berlin

  • 2021

    Fürstenberg (Havel)

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ja! Weil ich viele prägende Erfahrungen mit anderen Ostdeutschen teile, Erfahrungen, die man schlecht erklären kann. Aber auch weil immer noch Ostdeutsche benachteiligt werden, bei Karriere, Renten, Tariflöhnen, weil es im realen Leben immer noch eine Unterschiedsbehandlung gibt. Aber auch, weil man unseren Teil der deutschen Geschichte so oft vergisst, weil Filme mit Ostbezug nur auf Ostsendern laufen, weil ich bei der Bundestagswahl in meinem Brandenburger Wahlkreis von sechs Parteien im Bundestag als Einzige mit einer ostdeutschen Sozialisierung ins Rennen geschickt wurde, weil Ostdeutsche Erfahrungen in der Politik nicht angemessen repräsentiert sind und weil das offensichtlich nicht egal ist.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Die Parteiendistanz im Osten liegt vielleicht noch an der kollektiven Erfahrung einer undemokratischen SED in der DDR, aber auch an enttäuschten Erwartungen an Parteien nach dem Mauerfall. Es gab keine Augenhöhe gegenüber Ostdeutschen, sie werden noch Jahrzehnte nach der Wende als Bürger zweiter Klasse behandelt. Daran änderte leider auch eine ostdeutsche Kanzlerin nichts. Das hat viele desillusioniert. Ich möchte zeigen, dass sich politisches Engagement lohnt, wenn man Kräfte bündelt und Veränderung selbst in die Hand nimmt. Ich möchte auch zeigen, dass es Ehrlichkeit in der Politik gibt, berichte transparent über meine Arbeit, stelle Fragen an die Bundesregierung auch im Namen von Bürger:innen.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Bei jeder Gelegenheit fordere ich die Gleichberechtigung von Ostdeutschen ein, zum Beispiel gleiche Mütterrentenansprüche, gleichwertige Rentenpunkte, aber auch einen repräsentiven Anteil Ostdeutscher in Entscheidungspositionen und dass der Osten in der kollektiven, öffentlichen Erinnerung angemessen vorkommt. So habe ich den Intendanten der ARD darum gebeten, die Reihe „Ostfrauen“ auch im Ersten zu senden. Westdeutsche wissen immer noch viel zu wenig über den Osten und das ist Teil des Problems. Der geringe Anteil Ostdeutscher in Medienredaktionen trägt dazu bei. Ich mache Fakten zu Unterrepräsentanz und Benachteiligungen immer wieder bekannt, denn erst mit Problembewusstsein wird sich etwas ändern.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir Chancengleichheit für Ostdeutsche, eine Wertschätzung unserer Erfahrungen, Leistungen und Lebensweisen. Es braucht dazu einen differenzierteren Blick auf die DDR, sie bestand nicht nur aus Stasi und Mauer. Wir Ostdeutsche selbst sollten uns bewusster sein, was für ein Reichtum unser vielfältiger Erfahrungsschatz ist: zwei verschiedene Gesellschaftssysteme zu erleben, ist lehrreich, aber auch unterschiedlichste Berufe auszuüben und immer wieder von vorne anzufangen und Neues zu lernen. Von unseren Ost-Erfahrungen lässt sich heute noch eine Menge lernen, zur Gleichberechtigung von Frauen oder auch wie man Rohstoffe sammelt und recycelt oder Kaputtes repariert, statt neu zu kaufen.