Wir sind der

Osten

Anke Ertner

Anke Ertner ist Autorin, Regisseurin und Produzentin und 1975 in Großenhain geboren, in Strausberg aufgewachsen und hat später in Köln, Malta und San Francisco gelebt.

Zurückgekehrt: Anke wohnt heute in Berlin.

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Weshalb bist du zurückgekehrt?

Ich hatte zwei Jahre lang eine Zweitwohnung in Köln wegen der Arbeit für n-tv und bin dort nie heimisch geworden. Ich habe mit Ende 20/Anfang 30 je drei Monate auf Malta und in San Francisco verbracht, um Englisch zu lernen. Da für mich mit 14 die Mauer fiel, hatte ich das nie richtig in der Schule gelernt. Die große Welt war und ist für mich spannender als der deutsche Westen. Ich fühle mich in Ostberlin heute trotzdem wohler als in Westberlin, habe aber auch meine Probleme mit meiner brandenburgischen Heimat, weil dort die Zeit zum Teil still zu stehen scheint und damit bei vielen Menschen auch der Gedanken- und Gestaltungsprozess. Meine Eltern leben in Strausberg, mein Bruder in Jena.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin seit 1998 in der Medienbranche tätig, zuerst als Reporterin bei Radio und TV, später auch als Autorin für internationale Produktionsfirmen. Seit zehn Jahren kümmere ich mich außerdem intensiv um die künstlerische Aufarbeitung von DDR Geschichte. Ich habe zwei selbstfinanzierte, unabhängige Dokumentarfilme gemacht, die ganz unterschiedliche Facetten der DDR Geschichte beleuchten: www.generation89film.de und www.meeting-of-spies.com. John le Carré durfte ich zudem bei seinem letzten Buch „Das Vermächtnis der Spione“ bei der Hintergrund-Recherche unterstützen, denn ein Großteil des Buches spielt in der DDR der frühen 60er Jahre.

  • 1975

    Großenhain

  • Strausberg

  • Köln

  • Malta

  • San Francisco

  • 2019

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

5 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Kulturelle Programmierung findet in der Regel vor dem Erwachsenwerden statt. Bei mir ist das auf jeden Fall so. Ich liebe den sächsischen Zungenschlag meiner Eltern. Ich kann noch russische Lieder aus der Schule singen. Ich denke bei Kindersendungen an Pitti und den Brummkreisel. Ich finde Warschau hässlich und nicht exotisch. Ich kann bis heute eher DDR-Geschichte zuordnen als Politiker der 60er- und 80er aus dem Westen. Ich erkenne Ossis nach wenigen Gesprächsminuten. Ich empfinde sie vor allem verbindlicher, herzlicher und echter. Ich bin bis heute kein echter Kapitalist geworden.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Ich bin zwar freie Autorin und damit Unternehmerin, aber mir ist echtes Kapitalistisch-sein bis heute fremd. Und das finde ich gut. Ich erzähle auch jeden und immer, woher ich komme. Mir ist es wichtig, dass Menschen wissen, wer ich bin und das ich „in einem anderen Land“ (so nenne ich das immer) geboren wurde. Meine Eltern und mein Bruder haben mit mir bis in die frühen 2000er Jahre extrem gestritten. Als Wendeverlierer wollten sie die DDR wieder haben. Ich nicht. Das hat sich später beruhigt. Heute betrachte ich viele Situationen immer aus der Seite des Wessis und Ossis, da sogar meine heutige Familie aus beiden Sozialisierungsgruppen besteht.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass man den Osten mehr sieht, die schönen Ecken, die netten Menschen, die Erfolge, die dort erzielt werden. Ich wünsche mir auch, dass sich der Westen mehr mit dem Osten auseinandersetzt, nach den Ursachen der politischen Veränderungen sucht, dass sich Menschen Fragen stellen, wie: Wie würde ich reagieren, wenn mein Leben von heute auf morgen komplett anders ist? Wie wäre es, wenn ich meine Arbeit, Sicherheit, Perspektive verliere? Ich fände wichtig, wenn es mehr zugängliche Filme, Kunstprojekte etc. gäbe, die sich damit auseinandersetzen, was ein gesellschaftspolitischer Wandel dieser Größenordnung mit Menschen macht. Ich wünsche mir, dass man den Osten besser versteht.