Anna Gorskih

Anna Gorskih ist Kultur- und Politikwissenschaftlerin sowie Mitglied des Landtags (Die Linke) in Sachsen  und 1992 in Tomsk geboren.

Rübergemacht: Anna wohnt aktuell in Leipzig.

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Weshalb bist du rübergemacht?

Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in Russland verbracht. Mit 12 Jahren bin ich mit meiner Familie nach Deutschland migriert. Wir entschieden uns damals bewusst für Sachsen, weil wir hier Verwandte hatten und somit nicht vollkommen allein in diesem für uns damals noch fremden Land wären. Es stand auch nie wirklich zur Diskussion, ob wir später mal in ein westdeutsches Bundesland umziehen. Viele unserer Bekannten aus der russischsprachigen Community sind aus Sachsen weggegangen, um besser zu verdienen und besser zu leben. Aber nach unserer Migrationserfahrung und dem harten Neuanfang wollten nicht noch einmal alles zurücklassen. So lebe ich seit 2004 ohne Unterbrechungen in Sachsen.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Meine Migrationsgeschichte hat mich stark politisiert. Ich habe schon mit 12 Jahren nicht verstehen können, warum man es für zugewanderte Menschen hier so schwer machen muss und Bildungsabschlüsse und Arbeitserfahrung nicht anerkennt. Auch war ich seit meiner Ankunft in Deutschland über die zahlreichen extrem rechten, rassistischen und neonazistischen Vorfälle schockiert. Durch mein Aufwachsen in Armut habe ich außerdem viele sozial-politische Versäumnisse hautnah erlebt. So wuchs in mir der Wunsch, mich zu engagieren, mein Lebensumfeld zu gestalten und für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu streiten. 2009 kam ich so zur Linksjugend Sachsen und trat 2013 in DIE LINKE ein.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

In Anbetracht der auch noch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung bestehenden Probleme oder auch mit Blick auf die politische Situation &undrechte Bedrohungslage, kann ich verstehen, wenn Leute von hier wegziehen. Ich frage mich nur immer: Was passiert, wenn alle demokratisch gesinnten/ kreativen/ engagierten Leute gehen? Was hieße es für die Demokratie, die Zivilgesellschaft und für die junge Generation? Ich möchte nicht, dass die heutigen Kinder und Jugendlichen später ein wirtschaftliches, kulturelles und politisches Ödland im Osten vorfinden. Deswegen lohnt es sich allen Widrigkeiten zum Trotz doch sehr, für ein gutes Leben und lebenswerte Zukunft für alle Menschen hier vor Ort zu kämpfen.

  • 1992

    Tomsk

  • Meißen

  • 2021

    Leipzig

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Auch wenn niemand aus meiner Familie die DDR und die „Wende“ aus eigener Erfahrung kennt, ist auch meine Familiengeschichte vom Zusammenbruch des Sozialismus, Arbeitslosigkeit, Neuorientierung und biografischen Umbrüchen geprägt. Ich denke, diese „postsozialistische Erfahrung“ kann Menschen aus dem ehemaligen Ostblock miteinander verbinden. Auch wenn ich meine prägende Zeit in Sachsen verbrachte und hier politisch sozialisiert wurde, erkannte ich erst im Studium, dass „ostdeutsch sein“ ein Teil meiner Identität ist. Erst im Kontakt zu westdeutschen Komiliton*innen merkte ich, dass wir z.T. ganz unterschiedliche Vorstellungen, Erfahrungen und (finanzielle) Voraussetzungen mitbringen.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Ein Punkt, der mir neben vielen anderen auffiel: Parteienengagement braucht oft einen langen Atem. Bis man z.B. in einen Vorstand gewählt wird und wirklich mitentscheiden und mitgestalten kann, kann eine lange Zeit vergehen. Das ist zu weit weg von der Lebensrealität vieler Menschen. Wenn ich z.B. an einer Übergangssituation stehe und gar nicht weiß, was ich in den nächsten Jahren mache und wo ich leben werde, engagiere ich mich dann vielleicht eher bei konkreten Projekten oder Aktionen, um schneller politische Selbstwirksamkeit zu erfahren. Ich denke, Parteien müssen deswegen in einer schnelllebigen Welt neue Formen des Mitmachens finden, um als Orte des Engagements attraktiver werden.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Als Politikerin einer Oppositionsfraktion mache ich auf Probleme wie das Lohngefälle zwischen Ost- und West, infrastrukturellen Rückbau und fehlende Investitionen in die Zukunft etc. aufmerksam und nutze die mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um Missstände zu skandalisieren, Solidarität zu zeigen und auf Veränderungen hinzuarbeiten. Im Landtag setze ich mich z.B. für bessere Perspektiven für junge Menschen in Sachsen ein, das heißt u.a. vielfältige kulturelle und Freizeitangebote, gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung, aber auch bessere Ausbildungs- und Jobaussichten und bessere Einkommen hier vor Ort. Dafür spreche ich mit vielen Menschen und erarbeite eigene Vorschläge.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Dass wir die Ost-West-Debatte nicht nur episodisch, sondern kontinuierlich führen. Die sozialen Verwerfungen und strukturelle Ungleichheiten zwischen Ost und West sind durch Zahlen belegbar – diese Zustände müssen politisch angegangen und gelöst werden, damit es irgendwann endlich egal ist, ob man in Ost oder West lebt, weil überall gut bezahlte Arbeit, gute Zukunftsaussichten und lebenswerte Orte vorfindbar sind. Für ganz Deutschland wünsche ich mir, dass es keine Rolle mehr spielt, ob man in Ost oder West oder überhaupt in Deutschland geboren ist und dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Zuwanderungsgeschichte gleichberechtigt sind und die gleichen Möglichkeiten haben.