Anna Kassautzki
Anna Kassautzki ist Direktkandidatin (SPD) für die Bundestagswahl 2021 und 1993 in Heidelberg geboren, in Leusel bei Alsfeld aufgewachsen.
Rübergemacht: Anna wohnt aktuell in Greifswald.
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Nach meinem Bachelor habe ich mich nach einem Studienort für den Master umgeschaut. Greifswald war aufgrund des Studiengangs, den örtlichen Mieten und den Jusos vor Ort in der engeren Auswahl. Aus meinem „ich schau mir mal zwei Tage die Stadt an, ob ich das überhaupt will“ wurde ein fünftägiger Urlaub, an dessen Ende ich hier dann auch schon ein WG-Zimmer hatte. Man kann sich in diese Stadt nur verlieben. Für mich stand dann auch sehr schnell fest, dass ich hier nicht mehr weg möchte.
Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?
Ich bin auf dem Dorf groß geworden und bei uns gab es damals ein großes Problem mit Neonazi-Strukturen. Da ich nicht tatenlos zusehen wollte, habe ich eine Ortsgruppe der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. gegründet, um zusammen mit dem Verein und Schulfreund*innen mit Bildung und ohne Gewalt gegen Nazis vorzugehen. Das prägt mich bis heute. Danach war ich Vorsitzende des Kreisjugendparlaments und bin 2014 zur SPD und zu den Jusos gekommen. Ungerechtigkeit hat mich schon immer wütend gemacht und ich habe schnell gelernt, dass Meckern von der Seitenlinie mir nicht reicht. Ich hab keine Lust hinzunehmen, was passiert. Ich will Wandel gestalten.
Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?
Über die Lebenshaltungskosten, wie Miete, und die Bedingungen für junge Familien, wie KiTa-Plätze und Gebührenfreiheit, hat der Osten jetzt schon einen Standortvorteil gegenüber dem Westen. Hier ist nicht alles eng gedrängt und festgefahren, sondern es gibt Raum und die Möglichkeit zur Entfaltung und zum Ausprobieren von Ideen. Damit Ostdeutschland noch attraktiver wird, müssen wir aber die Perspektiven für junge Leute verbessern: neben dem Infrastrukturausbau brauchen wir einen höheren Mindestlohn und grundsätzlich höhere Gehälter, vor allem im Dienstleistungssektor, wie der Tourismusbranche. Letzteres klappt nur mit starken Gewerkschaften (man kann übrigens ganz schnell online beitreten).
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Ich habe grade lange nachgedacht, was ich ankreuze. Mich selbst als „ostdeutsch“ zu bezeichnen, fände ich insofern vermessen, dass ich hier nicht sozialisiert wurde. Ich fühle mich aber trotzdem ostdeutsch. Ich bin in Heidelberg geboren, in Hessen aufgewachsen und habe in Bayern meinen Bachelor gemacht, bevor ich nach Greifswald gezogen bin. Überall hieß es (entweder deutlich oder unterschwellig): du kommst nicht von hier. In Mecklenburg-Vorpommern haben mir die Menschen das erste Mal das Gefühl gegeben: du bist eine von uns. Dass mir das gefehlt hat, war mir vorher gar nicht so bewusst. Ich liebe den Osten, ich lebe im Osten und ich bleibe im Osten. Hier bin ich zuhause.
Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?
Es gibt in Ostdeutschland ein (verständlicherweise) historisch bedingtes kollektives Misstrauen gegen Parteien. Nicht nur wegen der DDR, sondern auch, weil der Osten über Jahre von „der großen Politik“ vergessen wurde. Junge Menschen haben miterlebt, wie ihre Eltern nach der Wende aufgrund einer verfehlten Wirtschaftspolitik arbeitslos wurden und der ungelenkte Strukturwandel seine Opfer gefordert hat. Die versprochenen blühenden Landschaften waren eher verwilderte Blühstreifen am Straßenrand. Wir müssen Politik transparent, nachvollziehbar und vor Ort gestalten. Politik und Parteien sind nur da nahbar, wo es Aktive vor Ort gibt – wir müssen die weißen Flecken mit Leben und Strukturen füllen.
Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?
Ostdeutsche Lebensrealitäten müssen sichtbar sein, auch in der Politik auf Bundesebene. Wir müssen spezifisch ostdeutsche Lebenserfahrungen und -leistungen respektieren und anerkennen. Dazu gehört auch vorherrschende westdeutsche Narrative als solche zu kennzeichnen – beispielsweise in der Russland-Frage. Ich setze mich für einen Mindestlohn von zunächst 12€ ein, die Stärkung von Tarifbindung und damit eine Bekämpfung der Lohnungleichheit zwischen Ost und West. Ich will die Altschulden der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften lösen, strukturschwache Regionen unterstützen und die Kommunen beim Infrastrukturausbau unterstützen.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir, dass die Kategorien Ost und West keine Rolle mehr spielen müssen. So lange wir aber so eine krasse Vermögensungleichheit haben, die Löhne nicht angeglichen sind, ostdeutsch eine Diskriminierungsvariable auf Wohnungs- und Arbeitsmarkt ist und Leute aus Westdeutschland immer noch langsamer mit einem reden, sobald sie hören, dass man aus Mecklenburg-Vorpommern kommt (kein Witz), müssen wir noch in diesen Kategorien denken, weil wir sonst Ungerechtigkeit unsichtbar machen würden. Wir müssen gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen.