Anne Hufnagl
Anne Hufnagl ist Politikfotografin und 1987 in Oschatz geboren.
Gegangen: Anne wohnt aktuell in Berlin.
Foto: Anne Hufnagl
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Weshalb bist du gegangen?
Ich bin nach dem Abi gegangen. Ich hatte damals schon mehr Freunde im Westen als im Osten. Musikfestivals wie das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig verwischten die Grenze zwischen Ost und West mehr und schneller, als Politik und Wirtschaft das je gekonnt hätten. Man feierte zusammen und gehörte zusammen. Zuhause ist ja oft da, wo die Freunde sind, und das war für mich dadurch eben im Westen. Und dann war da noch die berufliche Perspektive. Auf dem Land im Osten fühlte ich mich diesbezüglich völlig verloren. Ich wusste, meine beste Chance war es, mich im Westen zu bewerben. Da gab es mehr Jobs, und besser bezahlt waren sie auch, das wussten wir alle. Zurück zog es mich bisher nicht.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass mein kleiner Beitrag zur Gestaltung der Zukunft darin liegt, viel mehr Frauen Zugang zu prestigeträchtigen und hochdotierten Fotojobs zu ermöglichen, und durch meinen Blick auf Frauen in meinen Fotos die Wahrnehmung für die häufig objektisierende Darstellung von Frauen zu schärfen – und an dieser Darstellung grundsätzlich etwas zu verändern. Fotografie, vor allem im oberen Bereich der Aufträge, ist noch immer eine Männerdomäne, und männlicher Blick prägt vieles dort. Das kann und soll sich ändern und dazu möchte ich beitragen. Dass ich dabei nicht nur Frau, sondern auch ostdeutsch bin, ist sozusagen noch die Kirsche auf der Veränderungstorte.
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Wenn ich es nicht selbst anspreche, bemerkt niemand, dass ich aus dem Osten bin. Ich saß schon bei Abendveranstaltungen an Tischen und es wurden Ossi-Witze gerissen, weil keiner überhaupt auf die Idee kam, da könnte ein Ossi mit am Tisch sitzen. Dass ich mich sehr als Ossi fühle und mir das oft präsent ist, kommt vermutlich genau da her. Es ist eine Art Trotzreaktion auf die Ignoranz und das Bashing gegen Ostdeutschland. Ich habe nichts zu verleugnen. Ich bin im Osten aufgewachsen, meine Familie kommt von dort und lebt heute noch dort. Ich BIN ostdeutsch, und fühle mich auch so. Wie bei allen Menschen gehört meine Herkunft zu mir und ist Teil meiner Identität.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Meine Eltern sind sehr offen und neugierig. Nach der Wende haben sie alles mitgenommen und ausprobiert, was möglich war. Wir sind viel gereist, hatten früh einen Computer, mir wurde viel ermöglicht. Fernsehen und später Internet waren ja gesamtdeutsch bzw. worldwide, insofern unterschied sich meine Kindheit vermutlich kaum vom westdeutschen Heranwachsen in den 1990ern. Erst als ich so Ende 20 begriff, dass nicht alle so viel Glück hatten wie ich und wie benachteiligt der Osten in vielen Bereichen war und wie abschätzig Ostdeutsche teilweise betrachtet wurden, entwickelte ich eine Art Verteidigungsinstinkt für meine alte Heimat und ihre Menschen, der bis heute anhält.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir, dass die Verbitterung und Kränkung von uns Ostdeutschen, die aus den Ungerechtigkeiten der Nachwendezeit erwuchs, so verständlich sie auch war und ist, von nachfolgenden Generationen abgeschüttelt wird. Weil sie Kraft raubt und tollen Dingen im Weg steht. Ich wünsche mir, dass insbesondere die Medien ihre Sprache überdenken, mit der sie den Osten diskriminieren. Unterschiede gibt es überall, nicht nur zwischen Ost und West. Zwischen Stadt und Land, Ruhrpott und Allgäu. Das ist normal, und man geht normal damit um. Das wünsche ich mir auch für den Umgang mit Ostdeutschland und seinen Menschen.