Wir sind der

Osten

Carsten Korfmacher

Carsten Korfmacher

Carsten Korfmacher ist in Düsseldorf geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Carsten wohnt aktuell in Neubrandenburg, wo er als Journalist arbeitet.

Foto: Nicole Weihmann

Das Profil teilen:

Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Ursprünglich hat mich der Osten journalistisch gereizt. Ich wollte das, was man so hört und liest, selbst erleben und begleiten. Was macht dieses vermeintliche Konglomerat an Missständen mit den Menschen? Rechtsextremismus, Misstrauen gegenüber staatlichen Strukturen, Landflucht, demographischer Wandel, fehlende Anerkennung der eigenen Biographie, prekäre Arbeitsverhältnisse? Heute habe ich einen anderen Blick auf die Dinge. Ich kann mir kaum einen Ort vorstellen, an dem Geschichte so sehr im Leben und politischen Denken von Menschen lebendig wird. Die Frage der ostdeutschen Identität ist nicht beantwortet, weil hier eine Kultur völlig absorbiert wurde von einer anderen. Das kann schmerzen.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin Reporter beim Nordkurier, einer unabhängigen Tageszeitung in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Da bundesdeutsche Medien häufig eine eher westdeutsche Perspektive vermitteln und viele ostdeutsche Blätter zu westdeutschen Verlage gehören, sehen wir es als unsere Aufgabe an, hier einen Gegenpol zu bilden. Insofern mache ich Journalismus mit ostdeutschem Touch. Mir ist es dabei sehr wichtig, Westdeutschen (wie mir selbst) verständlich zu machen, was es für einen Menschen bedeutet, von der eigenen Heimat verlassen zu werden. Denn nichts anderes haben Ostdeutsche erlebt. Es hat einige Jahre des Lebens (und des Diskutierens) im Osten gebraucht, bis ich das verstanden habe.

  • Düsseldorf

  • Frankfurt

  • London

  • Cambridge

  • Oxford

  • Dar es Salam

  • Vancouver Island

  • 2020

    Neubrandenburg

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

2 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Es wäre vermessen, das von mir zu behaupten. Ich kann bestimmte Gefühle verstehen und nachvollziehen, und ich kann sie auch in Worten begreifbar machen. Aber mich ostdeutsch zu fühlen, würde implizieren, dass ich all das, was zur ostdeutschen Identität gehört, selbst erlebt hätte.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Sehr gute und sehr schlechte, wie man es eben macht, wenn man irgendwo Zuhause ist. Ich liebe das soziale Miteinander im Osten, die Idee, dass man aufeinander aufpasst und jeder dazugehört, der sich entsprechend einbringt. Ich gehöre aber nicht zu den Apologeten, die behaupten, dass die Idee des rechtsextremen Ossis eine mediale Konstruktion ist. Ich denke schon, dass es in Ostdeutschland einen ausgeprägteren Hang zu rechtem Gedankengut gibt. Das hat seine Gründe. Und wenn wir Westdeutschen aufhören würden, mit dem Finger auf Ostdeutschland zu zeigen, wie wir es zum Beispiel nach der Bundestagswahl 2017 taten, dann könnten wir auch beginnen zu verstehen, welchen Anteil wir daran haben.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Die gesamten systemischen Strukturen – Verwaltung, Justiz, Bildungsapparat, Privatwirtschaft – wurden nach westdeutschen Normen, Regeln und Gesetzen aufgebaut. Das konnten anfänglich natürlich nur Westdeutsche. Leider hält die Dominanz der Westdeutschen in Führungspositionen im Osten bis heute an. Im Osten liegt der Anteil der Ostdeutschen in Führungspositionen bei 23 Prozent, obwohl Ostdeutsche 87 Prozent der Bevölkerung der neuen Länder ausmachen. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Mich hat schon immer fasziniert, dass Ostdeutsche häufig politisierter sind als Westdeutsche. Durch ihre Geschichte empfinden Ostdeutsche oft ein natürliches Unbehagen gegenüber allem Herrschenden. Das ist für die Debattenkultur in einem Land wahnsinnig bereichernd, sofern auf harte Zuspitzungen und Ausgrenzungen verzichtet wird.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Soziale Gerechtigkeit und inneren Frieden. Wir schaffen das.