Christian Gesellmann
Christian Gesellmann ist Journalist und 1984 in Zwickau geboren.
Zurückgekehrt: Christian lebt heute in Leipzig.
Das Profil teilen:
Weshalb bist du zurückgekehrt?
An guten Tagen würde ich sagen: weil ich die Welt sehen wollte, und einfach, weil es ging und geht, und ich es mir offenbar auch irgendwie leisten konnte zu reisen, woanders zu leben, woanders zu arbeiten und dann wieder zurück zu kehren. You call a place home, if a place calls you home.
An schlechten Tagen denke ich an die Nazis, die unseren Zaun abgebrannt und meine Freunde verprügelt haben, an die Leere und Perspektivlosigkeit, das dauernde deprimierende Genörgel, den Konformitätszwang und die Konsumhysterie und die protoproletarische Abscheu vor Intellektuellen in der sächsischen Provinz.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Wenn Rechtsextreme und ihre Ansichten den Diskurs in einer Gesellschaft bestimmen können, dann ist das auch eine Krise der Medien. Wir werfen Politikern vor, nicht mehr nah genug an den Bürgern zu sein, aber sind wir es als Journalisten noch? Mit Krautreporter habe ich versucht, darauf eine Antwort zu finden. Wir entwicklen unsere Themen und recherchieren Artikel gemeinsam mit Lesern in offenen, transparenten Prozessen. Um diesen Dialog in Gang zu bekommen, mussten wir raus aus den Büros, Akteure der teils erst im entstehen begriffenen Zivilgesellschaft Sachsens entdecken, vernetzen – ihnen eine Stimme geben. Um dann als Reporter ihre Lösungsansätze in den Diskurs einbringen zu können.
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Meine Mutter arbeitete im Bezirkskrankenhaus, mein Vater baute Trabant bei Sachsenring, mein Großvater war bei der Wismut, der Hausmeister der polytechnischen Oberschule, die ich noch ein Jahr besuchte, fuhr ein Krause Duo, und ja, wir sagten damals Nicki und guckten Lolek und Bolek, wenn wir mal nicht gerade Amiga-Platten auflegten oder zwischen den Wäschestangen der Neubaublocksiedlung Fußball spielten. Was ich sagen will: Ostdeutschland ist nicht nur ein Gefühl, es ist auch etwas, das für mich erst dadurch sichtbar wurde, dass es verschwunden ist. Eine Heimat ohne Heimat.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Ruft ein Wessi bei der Telekom an und sagt: Mein Internet funktioniert nicht, wenn Sie das nicht sofort in Ordnung bringen, kündige ich meinen Vertrag fristlos! …Aha? So! Danke und einen schönen Tag noch.
Ruft ein Ossi bei der Telekom-Hotline an und sagt: Ja Hallo, mein Name ist Schlegel, ich rufe aus Halle an, ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin jetzt, aber mein Internet läuft seit ein paar Tagen nicht mehr, und ich war jetzt immer beim Nachbar, da geht’s noch, aber jetzt ist der im Urlaub, da wollte ich mal fragen, ob Sie da mal nachschauen könnten, woran es liegt, vielleicht? … Aha? So? Wo anrufen?“
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Was ich mir am meisten wünsche, ist, dass den vielen engagierten Menschen, die versuchen ihre Heimat, ihre Nachbarschaft, ihren Sportverein positiv zu gestalten, nicht so viele Steine in den Weg gelegt werden – durch Bürokratie oder die Angst von Funktionseliten, ihre Funktion einzubüßen. Dann wünsche ich mir, dass Rechtsextremismus als Problem endlich überall ernst genommen wird, und das bedeutet auch, die Erfahrungen der Opfer anzuerkennen, statt ihnen die Schuld zu geben. Und dass wir anfangen, die Geschichte der DDR und der Wende als einen Teil unserer gemeinsamen Geschichte zu begreifen, nicht bloß als etwas, dass den Ossis irgendwie passiert ist und abgeheftet werden kann.