Wir sind der

Osten

Christian Zimmer

Christian Zimmer ist 1966 in Gengenbach geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Christian wohnt aktuell in Zittau, wo er eine gemeinnützige GmbH leitet.

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Mitte der 90er war ich mit meinem Studium fertig und begab mich auf die Suche nach Neuem, nach Freiraum. Den fand ich nach einer Reihe von Zufällen in der Oberlausitz. Spontan, wie in einem Roadmovie, habe ich zwei Koffer gepackt und bin losgefahren, um von Bautzen aus den deutschen Osten und anschließend Teile Polens und Tschechiens zu erkunden. Bin überall viel Neuem und viel Vertrautem begegnet und habe rasend schnell viele Menschen kennen gelernt. Dabei hatte ich nie geplant, länger als vier Jahre hier zu bleiben.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Wir leben in der Dreiländerregion Polen, Tschechien, Deutschland an einer Nahtstelle Europas. Hier gestaltet die SCHKOLA Schulen und Kitas in Freier Trägerschaft. Zum Profil gehören gelebte Nachbarschaft mit Spracherwerb ab Klasse 1 und wöchentliche Begegnungen mit Partnern aus Tschechien und Polen, die Inklusion von Menschen mit Handicap, offene Unterrichtsformen, individuelle Bildungswege. In einem multiprofessionellen Team gestalten wir die Zukunft von Bildung und waren 2017 als einzige Schule in Sachsen für den Deutschen Schulpreis nominiert. Ehrenamtlich engagiere ich mich für die „Hillersche Villa – Soziokultur im Dreiländereck“, einem Organisator und Anbieter kultureller und politischer Projekte.

  • 1966

    Gengenbach

  • Offenburg

  • Bautzen

  • Lichtenstein

  • Berlin

  • Dresden

  • Heute

    Zittau

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Ost- und westdeutsch sind Konstruktionen, in denen ich mich nicht wiederfinde. 29 Jahre lang, bis ich nach Sachsen gezogen bin, war ich Süddeutscher. Dass ich ein Westdeutscher sein soll, weiß ich seit meiner Ankunft hier und bis heute fühle ich mich damit nicht angesprochen. Und im Grunde bin ich bis heute ein in Sachsen lebender Süddeutscher. Ich bringe etwas mit, finde Neues vor und lebe gut damit. Das reicht doch.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Ich bin hier fast immer gut aufgenommen worden, musste aber auch lernen, stets aktiv auf Menschen zuzugehen. Mein Umfeld in Süddeutschland hat in verschiedenen Abstufungen zwischen Neugierde und Desinteresse reagiert, nie mit Unverständnis. Viele kamen, um sich Ostsachsen anzusehen, und nahmen teilweise überwältigende Eindrücke nach Hause mit. Dennoch wird mein Umzug in den Osten eher exotisch gesehen, und würde ich zurückkehren, würde das wohl kaum jemanden wundern. Von Beginn an habe ich an den Menschen in der Oberlausitz geschätzt, dass sie nicht auf das Glück warten, sondern selbst aktiv ihr Leben und ihr Umfeld gestalten.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Vorteile: Nach 1989 hatten die Westdeutschen die relevanten Berufe, genossen mehr Vertrauen, konnten leichter gründen und konnten zurück. Aber auch Nachteile: Nach 1995 wuchs die Skepsis. An einem Ort zu leben, heißt auch anzukommen, teilzuhaben, teil zu sein und sein zu wollen. Das ist schwerer, wenn die Erfahrungen der ersten Lebensjahre im Rückblick eher trennen als verbinden.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Seit 25 Jahren lebe ich hier und habe in der Zeit natürlich viel gehört, gesehen und gelesen über die Geschichte des Landes, über die Umbrüche nach der Wiedervereinigung. Mir ist aufgefallen, wie wichtig es sein kann, sich immer wieder neu zu (er)finden, neue Wege zu gehen, nicht still zu stehen. Dabei sind die Dynamiken politisch nicht zum Stillstand gekommen, neue Strömungen an den politischen Rändern wachsen schnell, damit ist das ganze Land politisch beweglicher, aber auch fragiler geworden. Es wird immer schwerer, das Verbindende zu finden. Aber auch das ist eine spannende Herausforderung.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Zufriedenheit und Gelassenheit. Weniger vergleichen und wenn, dann nicht nur mit dem vermeintlich überlegenen Westen, sondern auch mit Ländern die 1989 ähnliche Voraussetzungen mitbrachten. Bodenständigkeit. Stolz auf das Erreichte und die Lust, fremde Menschen und neue Impulse offen aufzunehmen. Das Bild, das der Osten von sich selbst malt, hat viel mit dem Bild zu tun, das der Westen vom Osten zu haben scheint. Ich wünsche mir eigene Bilder, die vielleicht auch im Osten selbst auseinanderfallen, weil auch der Osten – zum Glück – aus verschiedenen Regionen und vielen unterschiedlichen Menschen besteht. Und ich wünsche mir (noch) mehr regionale Küche von Rang.