Wir sind der

Osten

Claudia Zentgraf

Claudia Zentgraf ist Redenschreiberin und 1985 in Ottendorf-Okrilla geboren, in Dresden aufgewachsen.

Gegangen: Claudia wohnt heute in Berlin.

Foto: Dominik Butzmann

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Weshalb bist du gegangen?

Ich wollte immer was mit Politik machen. Wer im Raum Dresden aufwächst, bekommt eigentlich politische Apathie vorgelebt. 30 Jahre CDU Regierung in Sachsen sorgen nicht gerade für Euphorie oder Aufbruchstimmung. Interessanterweise sah das in Leipzig ganz anders aus. Ich erlebte die Stadt als dynamisch, weltoffen und progressiv. Und ja: Nach meinem Politik-Studium hätte ich mir sehr gut vorstellen können, einfach da zu bleiben. Beruflich wäre das aber schwierig geworden. Daher zog ich nach Berlin. Und blieb damit auch immer mit einem Fuß im Osten.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin die Quote in meinem Team. Einzige Frau, einzige Sozialdemokratin, einzige Ostdeutsche. Und obwohl unser Referat formal diese Quoten nicht erfüllen muss, merke ich immer wieder, dass es einen Unterschied macht, ob ein Team divers ist. Dass es wichtig ist, dass unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen.
Meinen progressiven Kollegen fällt es zwar nicht besonders schwer, die Position von Frauen mitzudenken. Auch das sozialdemokratische Pathos haben sie ganz gut verinnerlicht. Was jedoch kaum eine Rolle spielt, ist die ostdeutsche Perspektive. Ich sorge dafür, dass die Menschen in Ostdeutschland und ihre Geschichte in der außenpolitischen Erzählung nicht vergessen werden.

  • 1985

    Ottendorf-Okrilla

  • Dresden

  • 2019

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Das erste Mal habe ich mich ostdeutsch gefühlt, als merkte, dass da, wo ich angekommen bin, keine Ossis mehr sind. Oder fast noch schlimmer: dass sie sich nicht zu erkennen geben. Je höher ich kam, umso weniger Ostdeutsche waren da. Ich fühle mich ostdeutsch, weil ich merke, dass alle um mich herum es nicht sind.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Ich habe gelernt, dass es keine Sicherheiten gibt. Dass man nicht alles planen kann. Dass Karrieren nichts bedeuten müssen. In meiner Familie gab es arbeitslose Ingenieure genauso wie Hartz4-Empfänger mit Promotion. Das gab und gibt mir die Freiheit, meine Entscheidungen danach zu treffen, was sich jetzt richtig anfühlt, statt vom Ende her zu denken. Den Weg zu gehen, auch wenn man das Ziel noch nicht so genau kennt. Mich für ein Leben zu entscheiden statt für einen Lebenslauf. Und ich habe gelernt, dass Geld einen nicht auffängt, wenn man fällt. Es sind nicht Fonds, sondern Beziehungen, in die man investieren muss.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Für Ostdeutschland wünsche ich mir, dass das Interesse am Osten auch über das Mauerfall-Jubiläum hinaus anhält. Ein ehrliches Interesse. Ein vorurteilsfreies, offenes Interesse. Dass die Menschen ihre Geschichten erzählen können. Dass wir davon lernen. Und dass wir endlich zu einer ehrlichen Betrachtung der Versäumnisse der Nachwendezeit kommen. Ach ja, und: keine Nazis mehr. Nirgends.