Wir sind der

Osten

Daniel Schulz

Daniel Schulz ist Journalist und in Potsdam geboren und aufgewachsen.

Gegangen: Daniel wohnt heute in Berlin.

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Weshalb bist du gegangen?

Ich möchte nicht in einer Region leben, in der über Rechtsextreme so geredet wird wie über die Mafia im Italien der 80er Jahre. Die wurde dort auch verharmlost, ihre Existenz angezweifelt oder zu einem Stück sizilianischer Kultur erklärt. Ihr Tun war überall zu sehen, aber ihre schiere Existenz wurde geleugnet. In Ostdeutschland sieht es mir zu oft ganz ähnlich aus. Trotzdem vermisse ich Brandenburg, ein Teil von mir würde dort gern wohnen. Wegen der Landschaft. Aber auch wegen des trockenen Humors der Menschen und der Fähigkeit, nicht jeden Moment der Stille mit Gespräch zukleistern zu wollen.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich hoffe, durch meine Texte. Durch mein Engagement bei den Neuen Deutschen Medienmachern und in anderen Zusammenhängen. Durch das Einbringen meiner Positionen in den Diskurs.

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Fühlst du dich Ostdeutsch?

Wegen Außen- und Innenzuschreibungen. Aussagen wie: Wir waren mit der BRD schon auf einem guten, fortschrittlichen, linken Weg und dann kamt Ihr und habt Helmut Kohl gewählt. Oder: Warum habt Ihr denn wieder alle Nazis gewählt? Wo mir diese Markierung heute noch passiert, ist in Situationen, in denen meine Position keine Rolle spielt, bzw. ich verletzlich bin. Beispiel Therapie: Da ist es mir schon passiert, dass ein Paartherapeut mir die ganze Schuld für das Scheitern einer Beziehung gegeben hat, weil ich im Osten aufgewachsen und zu Gefühlen nicht in der Lage bin. Viel lief auch über die tatsächliche und die gefühlte Abwertung der Eltern. Für die Innenzuschreibung fehlt der Platz.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

In vielerlei Hinsicht, aber ein Aspekt ist, dass ich größere Solidarität mit Migrant*innen zeigen möchte. Wir Ostdeutschen haben zwar keinen Rassismus erlebt, aber wir haben Diskriminierung erlebt, das Gefühl nicht zu genügen, die Erfahrung, einen Platz zugewiesen zu bekommen. Udo genannt zu werden, also Unser dummer Ossi, was mir nicht passiert ist, aber den Pendlern und denen, die rübergemacht sind. Mir selbst ist die Erfahrung geblieben, dass nichts unveränderbar ist. Das Gefühl absoluter Gewissheit, das viele weiße Westdeutsche teilen, das habe ich nicht.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Geld, Liebe, Glück. Dass die rechte Erzählung vom Ostdeutschen als Avantgarde des reinen, ursprünglichen Deutschen, der noch nicht durch Multikulti verdorben ist, nicht das vorherrschende Narrativ im Osten wird. Anstand. Solidarität mit anderen Minderheiten. Dass Widerstand nicht etwas wird, von dem Ostdeutsche glauben, sie könnten es vor allem rechtsextrem ausdrücken, weil das die Wessis am meisten schockt. Dass wir eine Sprache finden, um die Scham auszudrücken, die Verletzungen, eine Sprache, die aufhört, sich von anderen unpassende Begriffe wie Kolonialisierung zu borgen und damit jene zu verletzen, die noch in einem ganz anderen Maß gelitten haben oder leiden.