Dietrich Schotte
Dietrich Schotte ist 1981 in Flensburg geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Status: Dietrich wohnt aktuell in Leipzig, wo er an der Universität Leipzig Lehrkraft für besondere Aufgaben für Grundschuldidaktik Deutsch ist.
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich bin durch meine Gymnasialzeit (ab 1992) teil-ostdeutsch sozialisiert und habe in Leipzig studiert. Nach dem Studium sind meine Frau und ich allerdings nach Marburg gegangen. Die meisten unserer Freunde sind in Leipzig geblieben – und waren immer noch dort, als wir nach sechs Jahren Marburg genug von Mittelhessen hatten. Ja, unsere Eltern sind hier auch „näher dran“, aber es sind vor allem die Freunde und die schlicht und ergreifend tolle Stadt Leipzig, warum wir wieder zurück gekommen sind.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Als Lehrbeauftragter versuche ich nicht nur, die entsprechenden Lehrinhalte zu vermitteln. Ich lege durchaus Wert darauf, gerade den angehenden Lehrer*innen auch eine entsprechende demokratische, offene Haltung zu vermitteln – oder, anders, sie in entsprechenden Haltungen und Überzeugungen zu stärken, sie zur Reflexion dieser Überzeugungen anzuregen usw.. Ein Teil sind Seminarangebote zur Zeitgeschichte der DDR. Und das natürlich in der Hoffnung, dass dies mittelfristig zu einer offeneren, besseren Gesellschaft führt. Und: Ja, das ist in gewissem Sinne offenkundig … utopisch, vorsichtig formuliert.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Es ist schwer: Mir fehlt der familiäre DDR-Hintergrund und daher auch der Bezug zu alldem, was oft positiv als DDR-Alltag erinnert wird. Ich kann daher auch Ostalgie in den meisten Formen schlicht nicht nachvollziehen; insofern: „nicht ostdeutsch“. Aber dank „meiner“ 90er-Jahre kann ich den Frust der Menschen hier nachvollziehen, ich kenne die Flurschäden, die die Einheit angerichtet hat. Ich weiß, wie es damals in Ostdeutschland bergab ging – und kann auch nachvollziehen, dass viele Ostdeutsche diese Aspekte zu Unrecht ausgeblendet und bagatellisiert sehen; insofern doch: „ostdeutsch“. Und ich kenne viele DDR-Begriffe u. ä. und habe sie oft sehr lieb gewonnen. Und meine Frau ist Ossi.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Ich denke, dass rückblickend nur wenige Momente meiner Sozialisation in irgendeiner Form „typisch ostdeutsch“ sind. Aber das Mobbing in der 9. und 10. Klasse, als es keine „blühenden Landschaften“ gab und ich der einzige Wessi war, an dem man das auslassen konnte, hätte ich in Westdeutschland sicherlich nicht erlebt. Und auch die #baseballschlaegerjahre, der Stress mit den Nazis und die Junge Gemeinde als einzig echte „Gegenöffentlichkeit“ für uns Nicht-Faschos, das ist sicherlich eher „typisch ostdeutsch“ für die 90er.
Meine Familie? Naja, wegen meiner Eltern bin ich ja hergekommen, und dass wir nach Leipzig zurück sind, konnten alle sehr, sehr gut nachvollziehen!
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Beamte, die in die ehemalige DDR versetzt wurden, bekamen Sonderzulagen (sog. „Buschgeld“) und Posten, die sie in Westdeutschland nicht bekommen hätten wegen mangelnder Eignung; hier gibt es u. a. ein ungeschriebenes Kapitel deutscher Hochschulgeschichte zu schreiben! Andere Westdeutsche konnten die vielfachen Hilfen, v. a. ökonomischer Art, nutzen und profitierten davon natürlich; dabei kam ihnen zugute, dass sie das für die Ostdeutschen „neue“ System bereits kannten. Sie bekamen häufig „Vorschusslorbeeren“, bevor überhaupt klar war, ob sie ihren Job auch gut machen. Gab es andere? Ja, sicher. Aber der Backlash gegen die „Besserwessis“ setzte erst Ende der 90er ein.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
So platt es klingt: Ich habe vor allem sehr, sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt. Und ich habe gelernt – und beobachte immer noch –, wie schwer, fast unmöglich ein sachlicher, distanziert-kritischer Umgang mit der jüngeren Geschichte ist. Weil diejenigen, deren Geschichte es ist, eben noch leben und ihr Leben nicht von Dritten eingeordnet, kritisiert, „gedeutet“ sehen wollen. Das gilt übrigens auch für Westdeutsche! Aber ich habe auch gelernt und staune immer wieder, welche Kraft manche Menschen aufbringen, um sich ein zweites Leben unter ganz neuen Bedingungen aufzubauen!
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Dass wir im öffentlichen Diskurs aufhören, von Ostdeutschland primär im Modus der „Provinz“ zu sprechen. Natürlich gibt es die hier, aber in Niedersachsen und Westfalen genauso. Und es gibt Großstädte wie Leipzig, Rostock, Jena mit tollen Universitäten und allem, was Großstadtleben ausmacht. Gut, das ist nicht Hamburg oder Berlin, aber zumindest Kassel, Saarlouis und Stuttgart haben keinen Grund, hier einen auf dicke Hose zu machen im Vergleich, oder? Kurz: Mehr Ausgewogenheit. Und weniger DDR-Stereotype – und stattdessen vielleicht ein offenes Ohr für die Erfahrungen der Ostdeutschen mit der Wendezeit statt diesem ewigen Selbstlob, dass „wir“ das ja so toll hinbekommen haben.