Dirk Neubauer

Dirk Neubauer ist Bürgermeister (parteilos) von Augustusburg und 1971 in Halle (Saale) geboren.

Geblieben: Dirk wohnt aktuell in Augustusburg.

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Weshalb bist du geblieben?

Ich bin geblieben, weil nicht alle einfach gehen können. Ich glaube, der Osten hat eine Menge Chancen. Sehr viel mehr, als der durchsortierte Westen diese hat. Jedenfalls derzeit. Wir müssen diese Chancen nutzen, aus dem Osten heraus ein neues Demokratieverständnis zu erzeugen. Nämlich Vertrauen zu den Menschen zu entwickeln und das ewige Kümmern gegen Ermöglichung auszutauschen. Viele Menschen haben sich hier abgewandt. Sie sind enttäuscht von dem, was wir Deutsche Einheit nennen, aber nie auf Augenhöhe vollzogen haben. Der Osten aber ist kein Pflegefall, als der er behandelt wird. Er hat gezeigt, dass er flexibel und klug ist. Jetzt wird es Zeit, dass er seinen Platz findet.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

In erster Linie mein Gerechtigkeitssinn. Dieses stetige Übersehen und Überhören der Lebenserfahrungen und Leistungen im Osten. Die noch immer eklatanten Unterschiede bei Arbeit, Versorgung, Einkommen, Lebensstandard, die nicht zu begründen sind. Das alles hat mich in die Politik getrieben. Ich will einfach nicht hinnehmen, dass 30 Jahre nach der politischen Wende ein Großteil im Osten aufgegeben hat. Dass politische Rattenfänger daraus Profit schlagen und wieder dunkle Wolken über das Land ziehen lassen. Es muss Schluss sein mit diesem Gefühl, in einem Beitrittsgebiet festzusitzen. Ich sehe es als meine Aufgabe, Menschen Mut zu machen, sich einzubringen, zu zeigen, was wir können.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Ganz einfach. Ich lade sie ein und wir versuchen, echte Möglichkeiten zu schaffen. Ich glaube, dass Menschen sich engagieren, wenn es Möglichkeiten dafür gibt, die ernst gemeint sind. Das ist auch, was ich bei uns in Augustusburg erlebe. Das ewige Kümmern hat den Menschen die Selbstverantwortung und den Stolz genommen. Und ein Gefühl generiert, Demokratie und Politik sind eine Art Lieferservice mit Vollkasko gegen alle Risiken des Lebens. Das aber ist falsch. Natürlich wird es immer Menschen geben, die unsere Hilfe brauchen. Doch das sind weit weniger, als wir glauben. Alle anderen brauchen wir, um gemeinsam eine demokratische und friedliche Zukunft der Gesellschaft zu schaffen.

  • 1971

    Halle (Saale)

  • 2021

    Augustusburg

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich fühle mich als Europäer. Dann als Deutscher und Bürger, der ein Stimme hat und diese nicht nur zu Wahlen einsetzen möchte. Ja, meine Heimat ist der Osten. Und diese liebe ich. Aber es ist eher ein geografischer Begriff, denn ein Prädikat. Wir sind hier weder besser noch schlechter als der Westen, der Norden oder der Süden. Dennoch gibt es Ostbeauftragte, die vielen hier das Gefühl und die Rechtfertigung dafür geben, sich abgehängt fühlen zu dürfen, ohne selbst etwas tun zu müssen. Mir gibt es das Gefühl, ich wäre ein Indianer im Reservat. Will sagen: Solange wir über den Osten als eine Art Stigma reden, wird es Ihn auch als solchen geben. Mit allem, was das politisch auch bedeutet.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Parteipolitik hat sich aus der Fläche verabschiedet. Auch besteht kein Interesse, gemeinsam mit den Menschen Prozesse auszuhandeln. Politik nach Gutsherrenart. Nach dem Motto: Bleiben Sie ruhig, wir holen Hilfe. Wir wissen, was ihr braucht. Man rauscht übers Land, redet mit Menschen. Was anfänglich gut, inzwischen aber inflationär ist. Und was enttäuscht. Denn kaum etwas von dem, was das be- und versprochen wird, tritt ein. Das treibt die Menschen noch weiter weg. Wir müssen reden. Ja! Aber wir müssen dann auch handeln. Wir gründen gerade einen gelosten Bürgerrat. Wir haben viele Bürgerberbeteiligungsmodelle eingeführt. Wir lernen gemeinsam mit unseren Bürgern, wie Zusammen gehen kann.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Ich unterscheide nicht. Das ist vielleicht die beste Unterstützung. Ich denke, wir sollten weder Quoten noch sonst irgendwelche Regulative erzwingen. Wir müssen uns selbst entdecken und anfangen an uns zu glauben. Und lernen, unsere Interessen aufrecht zu vertreten und auch durchzusetzen. Ich sehe an vielen Ecken, dass dies gerade bei jüngeren Unternehmern längst passiert. Die Politik tut sich schwer damit, denn die Mehrheiten werden anderswo, jenseits der ehemaligen Grenze ausgehandelt. Das ist so und ändert sich auch durch Ostbeauftragte nicht. Deshalb sind wir auf uns gestellt. Je eher wir das annehmen und verstehen. Und je eher wir gemeinsam Druck machen, desto besser wird es laufen.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass wir durch positives Handeln positiven Veränderungsdruck erzeugen. Wir gründen gerade das DenkWerkOst. Ein Verein, der sich zur Aufgabe macht, Dinge, die derzeit falsch laufen, anders anzugehen und dadurch Lösungen zu entwickeln, die dann andere nachmachen oder noch verbessern können. Wir wollen raus aus den Antrags- und Förderungsabhängigkeiten. Wir wollen Wege finden, die Zivilgesellschaft und deren Bürger, Wirtschaft, Kommunen und Wissenschaft neu verbinden. Wir wollen aufhören, uns an den Institutionen als Bittsteller abzuarbeiten. Stattdessen wollen wir andere Lösungen beweisen und dadurch Druck auf Politik erzeugen, sich dem anzuschließen. Das wird spannend.