Wir sind der

Osten

Ellen Vierecke

Ellen Vierecke ist Lehrerin an der Oberschule und 1954 in Gräben (Fläming in Brandenburg) geboren.

Geblieben: Ellen wohnt heute in Brandenburg an der Havel.

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Weshalb bist du geblieben?

Mein Mann und ich waren ein Jahr vor der Maueröffnung im Westen. Ein Onkel hatte Geburtstag und wir hatten eine Genehmigung bekommen. Es hat uns umgehauen, was wir dort sahen: volle Geschäfte, alles so farbig, all die schönen Sachen. Unsere Verwandten rieten uns, im Westen zu bleiben. Aber wir hatten auch erkannt, dass man im Westen hart für sein Geld arbeiten muss. Außerdem hätten wir unsere Familie und unsere Kinder niemals verlassen. Das wäre für mich nie in Frage gekommen: Familie und Heimat sind ein so hohes Gut, alles andere ist dagegen klein.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin im 43. Jahr als Lehrerin tätig. Kinder sind das Leben. Sie auf ihrem Lebenswegen zu begleiten, sie mit zu prägen, ihnen charakterliche Stärken und menschliche Werte zu vermitteln, das ist für mich toll. Sie auf das Leben vorbereiten, ihnen Wissen, Können, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, so dass sie später das Leben meistern und glücklich werden, ist für mich Anspruch. Dabei schaue ich nicht auf die Uhr. Bin immer für meine Schüler und deren Eltern da, wenn sie Probleme haben und sporne sie an, höhere Leistungen zu erreichen. Viele ehemalige Schüler besuchen mich und es wärmt mir das Herz, wenn sie erzählen.

  • 1954

    Gräben

  • 2019

    Brandenburg an der Havel

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Anfang der 90er Jahre war mein Leben unsicher. Ich sollte Hauswirtschaft unterrichten, doch es gab nur einen leeren Raum. Ich stellte alles auf die Beine. Dann der nächste Schock: Mein Studium mit Diplom wurde nicht voll anerkannt. Mit Anfang 40, Mutter von zwei Kindern, begann ich noch mal zu studieren. Diese Brüche, ich habe sie alle überstanden. Das ist typisch ostdeutsch. Mein Slogan: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. So leitete ich viele Jahre den Kreislehrerrat. Wir schrieben viele Briefe an unser Ministerium und hatten Ideen für Veränderungen. Doch leider ist auch das typisch ostdeutsch: Wir werden mit unseren Anstrengungen und Ideen zu wenig gesehen und wertgeschätzt.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Wir hatten in der DDR nicht so viel, da Mangelwirtschaft herrschte. Das beeinflusst mich noch heute. Bis heute achte ich sorgsam auf alles, was ich mir anschaffe und repariere lieber, als dass ich weg schmeiße. Den sozialen Zusammenhalt, den wir damals haben mussten, versuche ich auch heute zu bewahren. Indem ich meinen Schülerinnen und Schülern klar mache, dass es nicht darum geht, was einer materiell hat, sondern, wie derjenige ist. Und dass man sich gegenseitig hilft.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir für den Osten, dass man den Menschen und deren Lebenswerk mit Respekt statt mit Arroganz begegnet. Ich wünsche mir für alle Menschen im Osten, egal in welchen Berufen sie arbeiten, dass sie die gleiche Entlohnung bekommen wie die Menschen im Westen. Erst dann fühle ich mich nicht mehr „ostdeutsch“ abgewertet.