Wir sind der

Osten

Frederik Fischer

Frederik Fischer

Frederik Fischer ist 1981 in Dachau geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Frederik wohnt aktuell in Gartenstadt Falkenberg, wo er als Journalist arbeitet.

Foto: Manuela Clemens

Das Profil teilen:

Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Ich habe mich nie wohl gefühlt im wohlstandssatten und selbstzufriedenen Bayern. Hannover wiederum war mir zu bieder. Als ich dann nach Berlin gezogen bin, war das Liebe auf den ersten Blick. Die Gestaltungsräume, die ich hier vorfand, fand ich nirgendwo sonst. Die Toleranz der Menschen, die Zurückhaltung der Polizei, der kreative Umgang mit Bürokratie. Das alles lässt mich in Erinnerungen schwelgen. Inzwischen ist die Liebe weitgehend erkaltet und Berlin ist auf dem besten Weg ein weiteres „begehbares Anlagedepot“ (Niklas Maak) zu werden. Die neuen Gestaltungsräume finde ich nun aber umso mehr im ostdeutschen ländlichen Raum.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin Gründer verschiedener gemeinschaftlich genutzter Wohn- und Arbeitsorte auf dem Land. Die bekanntesten Projekte sind das KoDorf in Wiesenburg und der Summer of Pioneers in Wittenberge. Der ländliche Raum in Ostdeutschland hat das Potenzial zum neuen Innovationstreiber zu werden, wenn es gelingt Kreative und Digitalarbeiter*innen aus den Großstädten aufs Land zu holen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Eine wachsende Zahl gut ausgebildeter Menschen in den Großstädten sucht vermehrt nach Ruhe und Gestaltungsräumen, die sie in Berlin, Hamburg etc. nicht mehr finden.

  • 1981

    Dachau

  • München

  • Hannover

  • Hamburg

  • Aarhus

  • Amsterdam

  • London

  • Washington DC

  • Berkeley

  • Wittenberge

  • Heute

    Gartenstadt Falkenberg

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

5 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Ich bin erstmals 2007 nach Berlin gezogen. Berlin entzog sich damals Kategorien wie Ost und West. Den ländlichen Raum in Ostdeutschland erkunde ich erst seit etwa fünf Jahren. Ich habe in der vergleichsweise kurzen Zeit im ostdeutschen ländlichen Raum ungleich viel mehr über Ostdeutschland gelernt als in den über zehn Jahren Berlin. Zu den Lektionen gehört auch, dass die Wende ein Bruch im Leben fast aller Ostdeutschen war, der bis heute wirkt. An uns Westdeutschen ging er aber fast komplett vorrüber. Ohne diese einschneidende Erfahrung wird mich immer etwas fundamental von Ostdeutschen unterscheiden. Empathie kann das nicht kompensieren.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

In Bayern herrscht noch das Bild des inkompetenten, steuergelderverschwendenden Berlins vor. Wenn es um den ländlichen Raum geht, denken alle sofort an Nazis und marode Infrastruktur.

Meine Erfahrungen sind vielfältig. Die Zusammenarbeit mit den Kommunen ist viel besser, als ich mir das hätte zu erträumen wagen. An vielen Orten ist eine neue Generation in Entscheidungspositionen, die hungrig auf Veränderung und Gestaltung ist, dabei auch kreativ mit bürokratischen Hürden umgeht. Diese Generation macht Fortschritte möglich, die in größeren Städten in vergleichbarer Zeit undenkbar wären.

Was mich aber mit zunehmenden Alter zunehmend erschöpft ist die Unfreundlichkeit im Service-Sektor.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Mir ist natürlich bewusst, dass viele westdeutsche Unternehmen enorm von der Wiedervereinigung profitiert haben. Ich finde die Frage aber so pauschal schwer zu beantworten. Wer als Student, kleiner Angestellter etc. aus dem Westen in den Osten gegangen ist, hatte sicher immer noch Vorteile aber er/ sie hatte auch Nachteile. Mir würde eine Antwort leichter fallen, wenn man hier besser differenzieren könnte.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Ich bin dankbar dafür, in Westdeutschland aufgewachsen zu sein. Als 81er-Baujahr hätten mich die Nachwendejahre voll erwischt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich unter diesen Umständen die Möglichkeiten erhalten hätte, die mir im Westen vergönnt waren (Stipendien, keine Umgewöhnung in der Schule, gute Berufschancen).

Ich habe aber auch gelernt, dass Ostdeutschland inzwischen der viel aufregendere und kreativere Ort ist. Viele Orte im Westen sind träge, verfilzt und ideenlos. In Ostdeutschland macht die Not erfinderisch.

Ich habe gelernt, dass ein freundlicher Umgang für mich zur Lebensqualität gehört. Das fehlt mir in Ostdeutschland.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir mehr von dem Mut und der Aufbruchsstimmung, die mir in meiner Arbeit vielerorts begegnet. Ich wünsche mir aber auch ein Wiedererstarken der Zivilgesellschaft, die durch die Abwanderung und den Strukturwandel großen Schaden genommen hat.

Ich wünsche mir eine üppige Förderung für den ostdeutschen ländlichen Raum. Hier entsteht gerade die Zukunft.

Ich wünsche mir weniger Nazis.

Ich wünsche mir eine gerechtere Wohlstandsverteilung zwischen West und Ost.

Ich wünsche mir den Respekt vor ostdeutscher (Pop-)Kultur und eine Vermittlung im Unterricht. Die Wende darf nicht als Abriss der eigenen Geschichte verstanden werden, sondern als Fortsetzung.