Wir sind der

Osten

Fritz Habekuß

Fritz Habekuß ist Journalist und 1990 in Lindenberg (Prignitz) geboren.

Gegangen: Fritz lebt heute in Hamburg.

Foto: Reinhard Hunger

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Weshalb bist du gegangen?

Wegen der Enge in meiner Heimat und fürs Studium, da hatte ich gar keine Wahl: Die nächste Uni war 150 Kilometer weit entfernt (es sind dann 500 geworden, aber das war dann auch egal).

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich schreibe für DIE ZEIT über Ökologie, Natur und unser Verhältnis dazu. Dadurch bin ich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Krisenreporter geworden – gegen meinen Willen. Denn durch die Zerstörung von Wäldern, das Ausrotten von Arten und das Vergiften der Meere riskieren wir unser Überleben. Ähnlich wie der Klimawandel, doch noch mehr ignoriert. Denn Menschen sind von funktionierenden Ökosystemen abhängig, von Böden, die Ernten hergeben, von Wäldern, die Kohlenstoff binden. All das ist unendlich einfach und komplex zur gleichen Zeit.
Und in meinem Heimatdorf Lindenberg organisiere ich eine Konzertreihe für Klassik und Jazz, außerdem eine politische Gesprächsreihe.

  • 1990

    Lindenberg (Prignitz)

  • Heute

    Hamburg

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

1 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich bin 1990 geboren. Thema erledigt, dachte ich lange. Geändert hat sich das als immer wieder Ferndiagnosen über die ostdeutsche Seelenlandschaft gemacht wurden. Meistens von Menschen, die wenig verstanden von dem, was in Köpfen von Leuten vorging, wie sie im Dorf meiner Eltern lebten, die oft auch kein Interesse daran hatten. Und plötzlich dachte ich: „Ey, Moment mal, so einfach ist das nicht!“ Es dauert eine Weile, bis ich verstand, wie sehr die Erfahrungen, die meine Eltern gemacht haben, mich prägen. Ostdeutsch sein ist heute ein kleiner, aber wichtiger Teil meiner Identität. Ich bin auch Europäer, Weltbürger, Teetrinker, Wahlhamburger, Raver. Über die Reihenfolge müsste ich nachdenken.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Die Wende hat für meine Generation das Spielfeld komplett abgeräumt, wir mussten und konnten von vorne anfangen. Etwa: Was genau sollte ich studieren? Wussten meine Eltern auch nicht. Und so konnte und musste ich mich selbst fragen, was ich will, und wie ich dorthin komme.
Jedes Mal, wenn ich jetzt zurück in mein Heimatdorf Lindenberg komme – 329 Einwohner im Moment – merke ich, dass die Landschaft, die Häuser, die Menschen ein Teil von mir ist, der mir Bodenhaftung gibt, der mir allein aber auch nicht ausreichen würde. Und ich merke dann, dass mich viel mehr mit Menschen verbindet als trennt. Das ist eine wertvolle, universelle Erfahrung.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Für den Blick von außen: ein bisschen mehr zuhören, ein bisschen weniger schnell urteilen.

Für den Blick nach außen: ein bisschen weniger Angst, ein bisschen mehr Neugier auf die Welt da draußen.

Für alle anderen: Geht mal in die Gaststätte Lamprecht in Lindenberg. Bier und Pommes kosten jeweils 1,50 € und, wenn ihr nett fragt, dreht der Wirt das Radio leiser und singt für euch.