Hannah Neumann

Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments (B’90/Die Grünen) und 1984 in Speyer geboren und in Ottersheim bei Landau aufgewachsen.

Rübergemacht: Hannah wohnt aktuell in Berlin Lichtenberg und Greifswald.

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Weshalb bist du rübergemacht?

Ich war die erste Frau in meiner Familie, die an die Uni ging. Deswegen suchte ich einen Ort mit einer kleinen, überschaubaren Uni und guter Betreuung. So bin ich letztendlich, gerade 18 geworden, in Ilmenau gelandet. Es war auch eine Flucht aus meiner sehr konservativen ersten Heimat. Seitdem bin ich dem Osten treu geblieben. Weil es dort auch schon vor 15 Jahren okay war, als junge Mutter zu arbeiten und es die Strukturen dafür gab. Weil ich einen Ossi geheiratet habe. Weil ich mit dem Rollenbild für Frauen im tiefen Westen, wo ich aufgewachsen bin, so gar nicht klar kam. Und so wurde ich zum Wahl-Ossi. Oder WOssi, wie meine Freunde irgendwann scherzhaft sagten. Und das bin ich bis heute.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Ich war schon immer ein politischer Mensch. So richtig Verantwortung habe ich aber erst übernommen, als die AfD in Berlin Lichtenberg 2016 ein Direktmandat bei der Wahl gewonnen hat. Gleichzeitig habe ich in meiner zweiten Heimat, dem Umland von Greifswald, erlebt, wie rechte Parolen immer stärker wurden – und Taten folgten. Beruflich hatte ich zu der Zeit Organisationen in Kriegsgebieten beraten, wie man kommunalpolitische Strukturen so aufbauen kann, dass Menschen sich an Demokratie beteiligen, statt sich zu radikalisieren. Aber ich bekam immer mehr das Gefühl, dass da auch bei mir zu Hause etwas ins Rutschen kommt. Und deswegen habe ich mich entschieden, mich stärker vor Ort einzubringen.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Ostdeutschland bietet viel Platz und Unterstützung für neue und kreative Ideen. Gerade weil Viele weg gehen, wird das Engagement derer, die bleiben oder zurück kommen sehr geschätzt. Es gibt Fördermöglichkeiten und ich habe oft erlebt, wie sich um bürgerschaftliche Projekte schnell ein Kreis Engagierter bildet und tolle Sachen umgesetzt wurden. Ja, es gibt Rechtsextremismus und als politisch engagierter Mensch wird man auch angefeindet. Aber ich habe auch sehr viel Solidarität und Dankbarkeit erfahren, wenn ich mich offen gegen dumpfen Parolen stelle oder Minderheiten in Schutz nehme. Das ist schön und das gibt Kraft. Man hat das Gefühl, wirklich etwas verändern und bewegen zu können.

  • 1984

    Ottersheim bei Landau

  • Ilmenau

  • 2021

    Berlin Lichtenberg/Greifswald

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ehrlich gesagt mag ich die Frage nicht. Wenn ich entweder/oder sagen muss: Ostdeutsch. Ich lebe mein komplettes Erwachsenenleben in Ostdeutschland oder Berlin. Aber 30 Jahre nach dem Fall der Mauer gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und solche zwischen Nord und Süddeutschland. Und zwischen Stadt und Land. Und am Ende ist meine Antwort auf diese Frage: Ich bin Europäerin. Und ich fühle mich als Europäerin.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Ich erlebe in Gesprächen immer wieder zwei Vorurteile: „Ich kann doch eh nichts ändern“ und „Die streiten sich doch nur“. Ich spreche vor allem mit jungen Menschen viel darüber, wie es ist, Politikerin zu sein. Was man da beeinflussen kann, aber auch, wo ich manchmal an meine Grenzen stoße. Ich versuche auch in den sozialen Medien, insbesondere bei Instagram, zu zeigen, dass ich ein ganz normaler Mensch bin – und trotzdem Politikerin. Weil jede und jeder kann Abgeordnete:r sein – in der Kommune, im Land, im Bund oder eben in Europa. Das ist das Schöne an unserer Demokratie. Ich selber bin erst seit 7 Jahren bei den Grünen. Manchmal geht es dann eben doch ganz schnell.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Es ist wichtig, dass wir allzu große Ungleichheit ausgleichen. Dass die Reichen nicht immer reicher werden, während andere nicht mal den Kinobesuch bezahlen können. Dass man auch in ländlichen Räumen mit dem Bus in die Stadt kommt, um Freunde treffen zu können. Dass Bildung nicht zur Frage des Geldbeutels wird, dass man überall vernünftigen Internetzugang hat und dass der Nachname nicht über die Berufschancen entscheidet. Noch immer gibt es hier ein Gefälle zwischen Ost und West, aber nicht nur. Ich kämpfe dafür, dass wir ökonomische, soziale und andere Benachteiligungen überall da bekämpfen, wo wir sie vorfinden. Das ist mir sehr wichtig. Einfach, dass alle die gleichen Chancen haben.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Mehr Selbstbewusstsein! Was da gelungen ist, mit und nach der Wiedervereinigung, war nicht alles perfekt, aber im globalen Vergleich mit anderen Transitionen wirklich unfassbar gut. Darauf sollten wir alle mal stolz sein. Und Kraft daraus ziehen, für die Veränderungen, die uns insbesondere beim sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft noch bevorstehen.