Wir sind der

Osten

Hendrik Bolz

Hendrik Bolz alias Testo ist Musiker und 1988 in Leipzig geboren, in Stralsund aufgewachsen.

Gegangen: Testo wohnt heute in Berlin.

Foto: Brutus El Nackowitsch

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Weshalb bist du gegangen?

Das Thema „Wegzug“ hat mich seit frühester Kindheit begleitet und beschäftigt. Dass junge Stralsunder die Stadt reihenweise Richtung Rostock, Hamburg, Berlin oder gar noch weiter in den Westen verließen, war immer Normalität. Was blieb, war in meinen Augen eine Rentnerstadt, die ich in meiner Jugend bereits durchgespielt, in der ich alle möglichen Erfahrungen abgegrast hatte. Auch in meinem Abiturjahrgang war der Verbleib in Stralsund die Ausnahme und da ich mit Berliner Musik von „Die Ärzte“ bis „Aggro Berlin“ aufgewachsen bin, war die Hauptstadt schon immer ein Sehnsuchtsort für mich. 2008 bin ich dann zum Studium nach Westberlin gezogen und bis heute sehr glücklich dort geblieben.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich schreibe Texte und mache Musik, vor allem im Rahmen meiner Gruppe „Zugezogen Maskulin“ und versuche Inhalte zu verbreiten, die mir persönlich wichtig erscheinen.

  • 1988

    Leipzig

  • Stralsund

  • Heute

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

2 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich bin in der DDR geboren und in Ostdeutschland groß geworden, meine Verwandten und Erzieher waren DDR-sozialisiert, haben entsprechende Prägungen, Mentalitäten, Geschichten an mich weitergegeben, selbst wenn sie es nicht wollten. Ich bin in einem Erfahrungsraum herangewachsen, der bestimmt war vom zusammengebrochenen Realsozialismus, Transformationsprozessen, anarchischen Zuständen, rechter Hegemonie, Deindustrialisierung, massenhaftem Wegzug, Arbeitslosigkeit, Abwertungserfahrung. Meine Kindheit ist dahingehend typisch ostdeutsch, unterscheidet sich aber von derjenigen eines durchschnittlichen Westdeutschen gleichen Alters.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Meiner ostdeutschen Herkunft habe ich einen riesigen Schatz an spezifischen Erfahrungen und tiefen Eindrücken zu verdanken, die ich anderswo so nicht hätte sammeln können. Der unmittelbare Blick auf den Systemwechsel, die sich rapide verändernde Welt, den Einzug des Kapitalismus und seine Folgen, aber auch auf den untergegangenen sozialistischen Staat, samt seiner ganz eigenen Konflikte, Kultur und Strukturen, hat mir viele Denkanstöße mitgegeben, mich vieles gelehrt und mein Welt- und Menschenbild sehr bereichert.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Hinsichtlich der Probleme, die bis heute in Ostdeutschland bestehen, wünsche ich mir vor allem, dass ein Aufarbeitungsprozess stattfindet, ein innerostdeutscher Diskurs: Was ist in der DDR passiert, was wurde geprägt und bis heute tradiert, was ist während und nach der Wiedervereinigung passiert und was hat das alles mit den Menschen gemacht? Über Gedanken und Gefühle muss geredet werden, über Fehler, die gemacht wurden und was man für die Zukunft daraus lernen kann, sodass sich eine starke Zivilgesellschaft mit ostdeutschem Selbstbewusstsein entwickelt, das hinsichtlich des Westens nicht mehr zwischen Anbiederung und Verächtlichmachung pendelt und auf keinen Bauernfang mehr hereinfällt.

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