Imam-Jonas Dogesch
Imam-Jonas Dogesch ist 1966 im Kreis Elbistan in der Türkei geboren und später nach Ostdeutschland gekommen.
Rübergemacht: Imam-Jonas wohnt aktuell in Rostock, wo er Sozialarbeiter in einem Asylbewerberheim ist und im Landesintegrationsbeirat Mecklenburg-Vorpommern sitzt.
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich bin nach Rostock gekommen, weil mein Asylantrag in Detmold nicht zugelassen wurde. Man wollte mich sofort nach Griechenland überstellen, das mich wiederum in die Türkei abgeschoben hätte. Dort sollte ich für 15 Jahre – zu Unrecht – ins Gefängnis. Ich wollte um meine Freiheit kämpfen. Rostock, dachte ich, dürfte wegen Lichtenhagen ‘92 mit seiner Geschichte offener und konstruktiv umgehen.
Zunächst musste ich im Kirchenasyl leben. In dieser Zeit lernte ich Rostocks gesellschaftlichen Strukturen kennen und begann, mich einzubringen. Die Zivilgesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern schien mir schwächer zu sein, als sie sein sollte. Das war für mich mit der wichtigste Grund hierzubleiben.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Mir ist es sehr wichtig, unsere Gesellschaft offener und sozial gerechter zu gestalten – mit Zugewanderten und Alteingesessenen gemeinsam. Sozialstaat, Demokratie und Meinungsfreiheit sind ein Geschenk, für das wir einen hohen Preis bezahlt haben. Wir müssen es pflegen und schützen. Eine starke demokratische Gesellschaft kann man insbesondere daran messen, wie stark die Gruppen sind, die am Rande der Gesellschaft leben. Deshalb setze ich mich für die Rechte der Migrant*innen in Mecklenburg-Vorpommern ein. Sie sind oft durch Sprachbarrieren oder kulturelle Hürden nicht in der Lage, sich selbst für ihre Rechte einzusetzen. Ich fühle mich verpflichtet, die Stimme der Sprachlosen zu sein.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Jein. Ich habe mir zwischen all der Alltagshektik einen Kleingarten zugelegt, wo ich wie die Einheimischen Kohlrabi und Kartoffeln anbaue und mich auf eine Bratwurst freue. Und wenn die Corona-Abstandsregeln aufgehoben werden, dann freue ich mich darauf, dass wir zu unserem norddeutschen Abstand zurückkehren: fünf Meter.
Aber ich kann mir ein Frühstück ohne Oliven nicht vorstellen. Und meine Freunde im Osten sagen, ich sei egoistisch wie ein Westdeutscher.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Ein Freund hatte über Rostock gesagt: „Es gibt genug Orte, an die du gehen und dich quälen lassen kannst, wieso suchst du dir den allerschlimmsten aus?“ Aber ich habe hier fast nur gute Erfahrungen gemacht. Ich habe einen großen Freundeskreis, der mein Leben sehr bereichert. Und es ist ein schönes Gefühl, wenn dein gesellschaftliches Engagement Anerkennung bekommt, wenn der Ministerpräsident dich ehrt.
Ich bin dankbar, dass ich mich für dieses Land entschieden habe. Und traurig, dass ich von Neonazis bedroht wurde, rassistische Diskriminierungen selbst erleben musste, dass irgendwelche rechtsextremistischen Gruppen meinen Namen auf irgendwelche Feindeslisten geschrieben hatten.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Die alten Bundesländer waren beim Vereinigungsprozess die dominanten. Die Ostdeutschen waren plötzlich auf der Verliererseite. Alles, was die Ostdeutschen hatten und waren, war plötzlich falsch und wurde abgeschafft. Kredite zur Selbstständigkeit wurden den Ostdeutschen im Gegensatz zu ihren Nachbarn selten gewährt. Dies ist auch heute in bestimmten Gebieten noch immer so. Westdeutsche Firmen wickelten in ihrem Sinne die ostdeutschen Fabriken ab.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Geduld! Wenn man hier etwas erreichen möchte, sollte man nicht nur Fachkenntnisse und Wissen haben, sondern man braucht unheimlich viel Geduld. Ansonsten fasziniert mich die friedliche Revolution. Eigentlich hatte damals niemand vor, die Wiedervereinigung auszulösen, aber die Revolte hat eine andere Richtung genommen.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ungleichgewicht der Wiedervereinigung einerseits und andererseits eine Wertschätzung für das, was wir waren und was wir sind. Dass wir endlich herauskommen aus der Ost-West-Debatte hin zu unserer gesellschaftliche Zugehörigkeit zur EU. Und dass Menschen offen stolz darauf sein können, hier zu leben, ohne mitleidig angeschaut zu werden.