Wir sind der

Osten

Inga Draeger

Inga Draeger

Inga Draeger ist 1983 in Nordhessen geboren, in Westfalen aufgewachsen und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Inga wohnt aktuell in Berlin und ist dort Geschäftsführerin von ichbinhier e.V..

Foto: Svea Pietschmann

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Von einem Auslandsstudium in Frankreich kehrte ich nicht in meine westfälische Heimat zurück. Es verschlug mich nach Berlin. Zunächst für ein Praktikum, doch ich schlug Wurzeln. Mein Partner stammt aus Brandenburg und studierte damals an der Freien Universität. Das ist nun 15 Jahre her.

Beruflich sind wir beide in der politischen Kommunikation zuhause. Und die findet überwiegend in Berlin statt.

Wie gestaltest du die Zukunft?

#ichbinhier ist die größte Counter-Speech-Initiative Deutschlands. 45.000 Gruppenmitglieder schreiben sachliche und menschenfreundliche Kommentare auf Facebook, um so den abwertenden und aggressiven Stimmen in den Kommentarspalten etwas entgegenzusetzen. Um noch mehr Menschen zu digitaler Zivilcourage zu befähigen, bietet der ichbinhier e.V. offline und online Schulungsformate an. Der Verein klärt auf über die Ursachen von Hassrede, ihre Verbreitung und ihre Auswirkungen. Er unterstützt Menschen und Institutionen in allen Bereichen der Gesellschaft darin, sich gegen digitale Angriffe zu wappnen und Gegenrede zu betreiben. Der Verein wirbt für gelebte Demokratie durch konstruktiven Diskurs.

  • 1983

    Nordhessen

  • Westfalen

  • Lille

  • Heute

    Berlin

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Tatsächlich fühle ich mich primär als Europäerin. Dann als Deutsche. Weder westdeutsch noch ostdeutsch. Ich glaube, dass es vielen Westdeutschen so geht und dass das ein Privileg ist: Für Westdeutsche hat sich 1990 im Alltag nicht wirklich viel verändert. Für Ostdeutsche alles. Meine Schwägerin hat mit der Einschulung noch ihr Pionier-Halstuch bekommen, für meinen Mann kam die Wende dazwischen. Für ihn war das mit sechs Jahren eine Tragödie.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Meine Schwiegerfamilie ist die erste ostdeutsche Familie, die ich richtig kennengelernt habe. Klingt komisch, ist aber so. Bei Familienfesten war meine westdeutsche Herkunft anfangs tatsächlich ein Thema. Ich kann mich an einige Situationen erinnern, in denen es um Wessis ging, die nach der Wende dieses oder jenes getan hätten. Wenn ich fragte, ob ich damit auch gemeint sei, war ich das natürlich nie. Heute erlebe ich solche Situationen kaum noch. Vielleicht haben wir gegenseitig unsere Perspektiven erweitert. Ich höre bisweilen schon noch eine gewisse Sehnsucht nach früher heraus. Nach stärkerem Zusammenhalt und Miteinander. Mir kommt das wie Verklärung vor. Aber was weiß ich schon?

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Nach der Wiedervereinigung waren Politik und Verwaltung in Ostdeutschland stark westdeutsch geprägt. Zum Glück verändert sich das inzwischen langsam aber sicher.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Als ich 2000 für ein Schuljahr in den USA war, habe ich dort einen Aufsatz über die DDR und die Wiedervereinigung geschrieben. Damals stellte ich die naive These auf, dass es dieselben 40 Jahre dauern wird, bis Ost- und Westdeutschland wieder komplett zusammengewachsen sein werden. Heute vermute ich, dass das nicht reichen wird. PEGIDA, AfD und Co. machen mir Sorgen. Aber es gibt Menschen, die mir große Hoffnung machen. Wie meine Schwägerin, die nach dem Abi aus einem brandenburgischen 300-Seelen-Dorf allein aus eigenem Antrieb in die Welt zog, um diese zu erobern, Freunde auf der ganzen Welt hat und nun mit Mann und Kindern in dessen sächsischer Heimatstadt Gesellschaft gestaltet.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir für Ostdeutschland, Deutschland und Europa, dass noch mehr Menschen am politischen Diskurs teilnehmen und Gesellschaft positiv gestalten. Dass Demokraten die Oberhand behalten und wir unsere Grundwerte gemeinsam schützen.