Jeannette Gusko
Jeannette Gusko ist Unternehmensberaterin, 1984 in Berlin geboren, hat später in Sydney, Chambéry, New York, Barcelona, Leipzig und Braunschweig gelebt.
Zurückgekehrt: Jeannette wohnt heute in Berlin.
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Weshalb bist du gegangen?
Nach dem Abitur wollte ich die Welt über meinen Tellerrand hinaus verstehen. Ich reiste für ein Jahr und lebte danach immer wieder während des Studiums sowie zum Arbeiten im Ausland. Auf Reisen habe ich ein starkes Heimatgefühl entwickelt und angefangen, mich stärker mit meiner eigenen Biografie auseinander zu setzen. Es ist wichtig, dass wir mit einem progressiven Mindset Verantwortung für unsere Heimat übernehmen und sie nicht völkischen Umdeutungen überlassen. Berlin ist einer der freiesten Ort, die ich kenne. Ich arbeite an der Schnittstelle von Politik, digitaler Technologie und Zivilgesellschaft, das passt. Der Koffer in Berlin, er bestimmt auch mein Leben.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Bei Zukunftsfragen rechne ich vom Ende meines Lebens zurück: Mit welchen Gefühlen werde ich auf mein heutiges Ich zurückschauen? Mich interessiert, wie wir Errungenschaften der Digitalisierung für alle verfügbar machen können. Die Art, wie Geld in einer Gesellschaft verteilt wird, ist ein solcher Hebel sozialer Teilhabe. Bei GoFundMe setze ich mich dafür ein, Menschen aus marginalisierten Gruppen, die traditionell keinen Zugang zu finanziellen Mitteln haben, zu unterstützen. Mein Team hilft Initiator*innen eines Spendenaufrufs beim Campaigning, Pressearbeit, Social Media und dem sicheren Zahlungsverkehr. Zudem verantworte ich Produktlokalisierung, Policy-Themen sowie Community Engagement.
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Ich bin wer ich bin aufgrund meiner Erfahrungen als Arbeiterkind der 90er Jahre im vereinten Berlin. Mein Geburtsland existiert nicht mehr, wir zahlten in 3 Währungen. Die Auseinandersetzung mit & Emanzipation von einer schweigenden Elterngeneration waren herausfordernd, z.B. zum Parteieintritt. Für mich gibt es keine Gewissheiten, ich hinterfrage alles und jede*n, denke in Netzwerken und möglichen Szenarien. Die mediale (Nicht-)Berichterstattung mit ostdeutschen Stereotypen und Abwertungen ist befremdlich. Dabei sind ja gerade unsere Geschichten als Wendekinder die eines millionenfachen Bildungsaufstiegs aus dem Arbeiter- und Bauernstaat. Meine Identität ist ostdeutsch, mein Zuhause Europa.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Als ostdeutsche Millenial bin ich in zwei Systemen sozialisiert, ich habe Erfahrungen des Umbruchs gemacht, die Westdeutsche meines Alters nicht haben. Ich antizipiere gesellschaftliche Zaesuren; meinen westdeutschen Kommiliton*innen ging das mit der Finanzkrise 2008 anders. Erst war mein Lieblingsschokoriegel weg, dann änderte sich mein Leben schlagartig, dass ich Fähigkeiten wie Resilienz, Demut, Pragmatismus und Ambiguitätstoleranz entwickelte. Aus dem Mangel heraus habe ich früh neugierig Lösungen gefunden, kann mir z.B. sehr klar eine klimagerechte Welt vorstellen. Als ostdeutsche Feministin fällt mir schnell auf, wenn Perspektiven nicht gehört werden und setze mich für Vielfalt ein.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir von westdeutschen Verbündeten in Entscheidungspositionen, dass sie Macht teilen. Wenn Ostdeutsche ihren Anteil an Gestaltungsrollen inne haben, werden wir bessere Lösungen für die drängendsten Zukunftsfragen für Gesamtdeutschland erarbeiten und sozialen Frieden erhalten können. In ostdeutschen Bundesländern zeigen sich Phänomene prägnanter: Stadt-Land-Gefälle, der demographische Wandel oder Genderfragen. Initiativen vor Ort, die bereits heute aus Mangel Fülle schöpfen, sollten stärker unterstützt werden. Wir haben die große Chance, in Ko-Dörfern und Gesellschaftslaboren Antworten zur Klimakrise, nachhaltiger Mobilität und (digitaler) Daseinsvorsorge auf dem Land zu finden.