Judith C. Enders
Judith C. Enders ist Wissenschaftlerin und 1976 in Altenburg geboren.
Zurückgekehrt: Judith lebt heute in Berlin.
Foto: Photografic Berlin
Das Profil teilen:
Weshalb bist du zurückgekehrt?
Ich habe 1993 die 11. Klasse in Marburg/ Hessen besucht, da meine Eltern beruflich nach der Einheit dorthin gehen mussten. Es war ein spannender Einblick in die westdeutsche Gesellschaft, aber auch eine Ausgrenzungserfahrung mit (positiver) Diskriminierung. Nach einem Jahr wollte und ging ich zurück in den Osten. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, wollte aber auf keinen Fall bleiben. Auch ein Forschungsaufenthalt in New York konnte mich nicht vom „Westen“ überzeugen. Mein Platz ist in Berlin. Gemeinsam mit Freunden und Menschen aus Ost und West und der Welt.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Ich bin Mitbegründerin der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“ und Vorstandsmitglied im daraus hervorgegangenen Verein Perspektive hoch 3. Ich engagiere mich ehrenamtlich für die Verständigung von Ost und West, auch auf europäischer Ebene (www.transition-dialogue.com). Wir gestalten soziokulturelle Projekte (www.der-dritte-blick.de) und setzen uns für die Bildung der nachfolgenden Generationen zum Thema DDR und Transformation in den 1990er Jahren ein (www.zeitenwende-lernportal.de). Persönlich sehe ich in der (Gruppen-)Psychoanalyse eine spannende (sozialwissenschaftliche) Methode, all den Fragen der Transformation nach 1989 nachzugehen (www.sgaz.ch).
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Ich fühle mich nicht ostdeutsch, ich bin ostdeutsch. Die Sprache, die kulturelle Prägung, die Haltung zum Leben und die Verbundenheit mit der brandenburgischen Landschaft. Ich esse gern die Gerichte der Thüringer Küche (Verwandtschaft kocht und bäckt) und bade gern in der Ostsee. Ich bin froh, ein positives Verhältnis zu meinen Wurzeln zu haben und diese nicht verleugnen zu müssen. Ich sehe die DDR kritisch, aber ich möchte nicht über damals und heute schweigen. Ich möchte, dass sich die Generationen verständigen und sich alle am demokratischen Prozess nach ihren Möglichkeiten beteiligen. Vom Westen wünsche ich mir Neugier und Akzeptanz. Von uns allen eine gemeinsame Zukunftsvision.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Die Brüche in der Biografie sind nach meinem Dafürhalten eine gemeinschaftliche ostdeutsche Erfahrung. Diese ziehen sich in ihrer Verschiedenheit durch die Generationen. Sie haben positive wie auch negative Wirkungen entfaltet. Ich kann mir nicht vorstellen, das irgendjemand im Osten davon unbeeinflusst ist. Im Westen gibt es viele, für die 1989 keine Rolle spielt. Ich bin froh, mit der Gründung der „Dritten Generation Ost“ im Jahr 2010, neben dem gesellschaftspolitischen Engagement, auch einen persönlichen Reflexionsprozess vertieft zu haben. Dies ist nötig, um die Brüche positiv zu integrieren und diese spezifische Erfahrung konstruktiv nutzen zu können. Dies wünsche ich allen Ostdeutschen.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir ein nachhaltiges und selbstbewusstes Ostdeutschland, das aus den Verletzungen der Transformationsjahre lernt und in der Lage ist, daraus eine positive, solidarische und tragfähige Zukunftsvision zu entwickeln. Ich wünsche mir die Bewahrung der kulturellen Identität, ohne dabei in Ostalgie oder Abschottungsphantasien zu verfallen. Gemeinsam eine engagierte, handlungsbasierte, ökologische und friedfertige Zukunft gestalten, die Vielfalt und Verantwortung in den Mittelpunkt stellt, das ist mein Wunsch für Ostdeutschland.