Julia Miehe
Julia Miehe ist 1971 in West-Berlin geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Julia wohnt aktuell in Weimar, wo sie Stadtkulturdirektorin ist.
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich habe an zwei Ostberliner Universitäten studiert: der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und der Humboldt-Universität. Durch ein Praktikum an der Komischen Oper kam ich damals zum Musikmanagement, wurde bald Geschäftsführerin des Deutschen Kammerorchesters. 2000 kam ich als Orchesterdirektorin der Staatskapelle am Deutschen Nationaltheater nach Weimar, 2008 wurde ich hier Stadtkulturdirektorin. Spätestens mit dem Wechsel in die Stadtverwaltung und der Geburt unserer Tochter kurz darauf, haben mein Lebensgefährte und ich entschieden, Weimar dauerhaft als Hauptwohnsitz zu betrachten. Es war eine bewusste Entscheidung für die Stadt und weniger für den Osten.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Als Stadtkulturdirektorin kümmere ich mich mit meinen MitarbeiterInnen um die Förderung der sogenannten Breitenkultur, aber auch um die touristisch relevanten Institutionen wie das Deutsche Nationaltheater und die Klassik Stiftung Weimar. Die vielen, vielen Kulturschaffenden und Kreativen Weimars benötigen ein kulturfreundliches Klima. Auch die Stadtentwicklung liegt mir sehr am Herzen. Die Moderne (Bauhaus/ Weimarer Republik, aber auch die Weimarer NS-Vergangenheit mit dem KZ Buchenwald) ist ebenfalls ein großes Thema, das wir seit mehreren Jahren verstärkt bearbeiten und ausbauen. Dabei spielt auch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Erinnerungskultur eine wichtige Rolle.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Nein. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man sich ostdeutsch fühlt. Jeder lebt doch mit seiner Erfahrung, Vergangenheit und seiner Sozialisation. Diese ist bei mir eher west-berlinerisch. Ich vermute, dass dies auch ein anderes Gefühl ist, als sich westdeutsch zu fühlen.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
In Weimar kommen sehr viele Kulturschaffende von außen, sowohl aus den ost- als auch den westdeutschen Bundesländern. Daher hatte ich – zudem ein Jahr nach dem Kulturstadtjahr 1999 – nicht das Gefühl, in einer typisch ostdeutschen Stadt zu wohnen. Für mich hat das eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Musiker der Staatskapelle sind mir von Anfang an sehr offen begegnet, zumal einige auch aus den alten Bundesländern kamen. Bis heute scheint die Reflexion über eine ost- oder westdeutsche Vergangenheit eher ein Thema der Ostdeutschen zu sein. Zumindest beobachte ich dies bei meinen MitarbeiterInnen, die alle aus ostdeutschen Städten nach Weimar gezogen sind.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Direkt nach der Wiedervereinigung war verständlicherweise eine große Verunsicherung zu spüren, aber auch Neugier. Zumindest hatte ich diesen Eindruck als eine der ersten Studierenden nach der Deutschen Einheit an einer Ostberliner Hochschule. Zumindest als Studentin gab es weder Vor- noch Nachteile. Vielleicht hatten Westdeutsche direkt nach der Wiedervereinigung Vorteile. Aber nach der ersten Ernüchterung seitens der ostdeutschen Bevölkerung eher nicht. Aktuell sehe ich ebenfalls keinen Westbonus in Ostdeutschland.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Meine mittlerweile 20 Jahre in Weimar – und die neun an Ostberliner Universitäten – haben viel zu meiner Toleranzbereitschaft beigetragen. Gerade in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung waren Unterschiede durch unterschiedliche Sozialisation deutlich spürbar. Meine Kommilitonen hatten andere Schulsysteme und ein anderes Gesellschaftssystem durchlaufen. Der Austausch über unsere unterschiedliche Vergangenheit war für mich sehr bereichernd. Seit den letzten Jahren arbeite ich zunehmend mit Menschen zusammen, die kaum oder gar keine DDR-Vergangenheit haben. Je nach Elternhaus spielt daher die Ost-/ Westherkunft kaum noch eine Rolle.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir – 30 Jahre nach der Wiedereinigung! – ein Verschwinden der Mauer in den Köpfen, Chancengleichheit auch für den Osten. In den letzten Jahren habe ich zumindest in meinem Umfeld leider ein verstärktes Nostalgiedenken bemerkt.