Julia Schneider

Julia Schneider ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (Bündnis ’90/Die Grünen) und 1990 in Berlin geboren.

Zurückgekehrt: Julia wohnt aktuell in Berlin.

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Weshalb bist du zurückgekehrt?

Ich bin als Kind mit meiner Mutter nach Freiburg gezogen, weil dort die Liebe hinfiel. Nach dem Abi war ich in Spanien AuPair und habe dort später mein Studium begonnen. Der Studiengang war binational, eine Kooperation der Universitäten Madrid und Regensburg. So musste ich für zwei Semester nach Regensburg ziehen. Meinen Master habe ich in Frankfurt (Oder) begonnen. Ein Grund für diese Stadt war, dass meine Großeltern im nahen Berlin immer mehr Unterstützung brauchten und ich ihnen zurückgeben wollte, was sie mir in meiner Kindheit gegeben haben. Nach dem Studium war für mich ganz klar: zurück nach Berlin, wo ich nahe bin, mich im Osten der Stadt wohl fühle und wo die Politik pulsiert.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Viele Faktoren: Meine Großeltern, die sehr politisch waren. Sie sagten leider immer: „Da sprechen wir später drüber.“ Immer wieder habe ich mich über Ungerechtigkeiten geärgert: Wenn unreflektiert über Ostdeutschland und Plattenbauten gelästert wurde, Kinder mit Migrationsgeschichte vom Schulsystem im Stich gelassen wurden… Später in Spanien wurden meine Freund:innen die „verlorene Generation“ durch die unsoziale Sparpolitik in der Finanzkrise. Mit ihnen ging ich in Madrid auf die Straße. Zurück in Deutschland ging es um Europa, den Brexit, um Geflüchtete auf dem Mittelmeer, um Länder in der Eurokrise. Vieles hat mich aufgeregt und ich dachte immer: Das geht besser; menschlicher!

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Der Osten bietet Freiräume. Damit hier Solidarität erhalten bleibt, müssen wir bleiben, die Strukturen stärken, Nöte aus erster Hand verstehen und gemeinsam angehen. Dazu ist es wichtig, dass wir als ost-Sozialisierte Verlustängste ernst nehmen und wertschätzen. Das können wir besonders gut, denn in den meisten „Ostfamilien“ gab es Umbrucherfahrungen, die die Familiengeschichte geprägt haben – wir müssen nur genau hinsehen. Wir haben Verantwortung für den Osten. Gerade als junge Person, die erst 1990 geboren ist und jahrelang in Freiburg gelebt hat, verstehe ich mich als Vermittlerin. Nur auf Augenhöhe können wir unsere Zukunft gemeinsam gestalten-deswegen wünsch ich mir: bleibt hier!

  • 1990

    Berlin

  • Freiburg im Breisgau

  • Madrid

  • Regensburg

  • Frankfurt (Oder)

  • 2021

    Berlin

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Weil ich die Differenz in Freiburg so deutlich gespürt habe, ohne sie richtig zuordnen zu können. Als Jugendliche wurde ich oft gefragt, ob ich denn aus Ostberlin käme – und konnte mit der Frage damals nichts anfangen. Wenn ostdeutsche Identität/Erfahrungen abgewertet oder belächelt werden, wechsle ich manchmal in einen Verteidigungsmodus, obwohl das ja eigentlich nicht nötig wäre. Das ging mir aber schon immer so, mein Gerechtigkeitssinn springt dann sofort an! Die Geschichte von Menschen möchte ich immer im Gesamtkontext sehen und nicht bewerten. Wenn ich Menschen kennenlerne, merke ich schnell, ob sie oder ihre Familie aus Ost oder West kommt. Wie das funktioniert, weiß ich aber nicht.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Ich glaube, das Engagement in Ostdeutschland war eng mit dem Staat verwoben und deswegen brach viel nach 1990 weg. Vielleicht gibt es auch eine besondere Skepsis gegenüber Vereinen? Es fällt jedenfalls auf, dass wir als grüne Partei in Ostdeutschland deutlich kleinere Kreisverbände haben als „im Westen“. Ich möchte das politische Engagement stärken, indem die Kreisverbände sich stärker vernetzen und wir verstärkt darauf achten, Ostdeutsche zu empowern, für wichtige Positionen zu kandidieren.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Es kann nicht sein, dass wir bei einem Bevölkerungsanteil von 17 Prozent nur im einstelligen Prozent in bundesweiten Spitzenpositionen vertreten sind. Das muss sich ändern. Ich möchte herausfinden, woran es liegt, dass Ostdeutsche sich an Parteipolitik weniger beteiligen – vielleicht stehen sie auch einfach nicht gerne ganz vorn mit dabei? Jedenfalls ist mir wichtig, alle gemeinsam an einen Tisch zu holen und über Voraussetzungen zu reden, diese zu reflektieren und Barrieren abzubauen. Das gilt übrigens nicht nur für „Ostdeutsche“ sondern für alle, die zurückhaltend oder wenig präsent sind. Gleicher Lohn für Ost und West muss selbstverständlich werden!

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Na ganz klar: Wahrhaft blühende Landschaften. In denen Menschen zukunftsfähig und nachhaltig zusammen leben. Ich wünsche mir einen selbstbewussten Osten, der seine Chancen und Potenziale voll ausschöpft, der die großen Freiräume für Kultur, aber auch bspw. für den Ausbau erneuerbarer Energien nutzt. Einen Osten, der den Solidaritätsgedanken lebt und weitergibt, der nach vorne gerichtet den eigenen Pragmatismus einsetzt und auch in schlechten Situationen das Beste draus macht! Dazu gehört, die Lebensrealitäten vor Ort anzuerkennen und zu prüfen, was wir erhalten wollen und was verändert werden muss, das aber auch mit Nachdruck zu kommunizieren.