Juliane Nagel

Juliane Nagel ist Mitglied des Landtages (Die Linke) in Sachsen und 1978 in Leipzig geboren.

Geblieben: Juliane wohnt aktuell in Leipzig.

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Weshalb bist du geblieben?

Ich bin geblieben, weil es niemals eine Notwendigkeit oder einen Drang meinerseits gab, wegzugehen. Das liegt aber auch an dem Charme, den die Stadt Leipzig zweifelsfrei hat. Liegt an den Wandlungsprozessen, die in den letzten Jahren zu massiven Veränderungen geführt haben, die wiederum auch Brüche zur Folge haben. Vor allem diese Brüche bewegen mich auch, politisch hier aktiv zu sein und zu bleiben. Nicht zuletzt sind es Freundschaften, ist es das Engagement, ist es das selbst Mitgeschaffene, das mich hier gehalten hat.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch im Westen, daran, dass ich in einer Fußgängerzone einen Bettler sah und geschockt und berührt war. Diese Begegnung mit mir bis dahin unbekannter Armut, hat mich stark geprägt. Außerdem waren es die Mobilisierungen von Neonazis in den 1990er Jahren. Ich habe mich damit in Schulfacharbeiten stark auseinandergesetzt, hatte und habe große Angst, dass NS-relativierende und menschenfeindliche Ideologien wieder die Oberhand gewinnen könnten. Beides hat mich schlussendlich zur damaligen PDS geführt, wo ich begann mich in einer Jugendgruppe zu engagieren.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Ich kenne keine jungen Menschen, die den Osten bewusst verlassen wollen. Ich habe das Gefühl, dass diese Zeiten vorbei sind. Im Gegenteil sind viele Menschen, die ich kenne, aus dem Westen in den Osten gekommen. Die Bruchlinie sehe ich eher zwischen Stadt und Land. Viele jüngere Menschen verlassen die ländlicheren Räume und ziehen in die Großstädte. Das blutete die Regionen aus, führt zu ökonomischen, aber v.a. auch demokratischem Stillstand. Hier muss agiert werden, aber nicht durch pure Überzeugungsarbeit, sondern durch handfeste Maßnahmen: Verkehrsanbindung, Förderung für Wohnprojekte, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten und Räume für Demokratie und Kultur auch jenseits der Großstädte.

  • 1978

    Leipzig

  • 2021

    Leipzig

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Klar fühle ich mich ostdeutsch. 1990 war ich 12 Jahre alt, habe die Wende also nicht bewusst erlebt, aber ich habe durchaus starke Erinnerungen an den Taste, aber auch die Grenzen des Lebens in der DDR. Die ökonomische Ausbeutung des Ostens durch den Westen, die versuchte Überformung von Biografien, von gesellschaftlichen Praxen, haben mein Erwachsenwerden begleitet. Mit ostdeutscher Identität kann ich wenig anfangen. Mein Gefühl als Ostdeutsche ist stark durch den Drang geprägt, Gerechtigkeit herzustellen, sowohl sozial als auch was die Anerkennung von Biografien betrifft.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Ich meine, dass das kein ostdeutsches Problem ist. Sicherlich war das politische Interesse und Engagement im Osten nach der Wende höher als im Westen. Inzwischen dürfte sich das mindestens angeglichen haben. Ich finde es wichtig, dass Menschen sich für eine gerechte Gesellschaft und ein gutes Zusammenleben engagieren, egal ob in Initiativen oder Parteien. Das Büroprojekt linXXnet, das ich vor über 20 Jahren mitgegründet habe, basiert genau auf der Idee des Empowerments, selbst aktiv zu werden, wenn es Missstände gibt.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Meine Partei kämpft für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West, vor allem die Angleichung von Löhnen und Renten. Auch im Bereich der Wohnungspolitik ist der Ost-West-Unterschied virulent. Wohnhäuser im Osten gehören vor allem Personen und Unternehmen aus dem Westen. Hier kann die in Berlin propagierte Idee der Vergesellschaftung von Wohnraum eine gute Gegenmaßnahme sein. Ich setze allerdings auch auf die Nachwendegeneration, dass der Ost-West-Unterschied in den Köpfen langsam nivelliert wird.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass Lebensleistungen von Ostdeutschen anerkannt und gewürdigt werden. Wünsche mir, dass viele Menschen die Chance sehen, den Teil des Landes auch progressiv und von unten zu gestalten, wünsche mir, dass es gelingt, die leider virulenten antidemokratischen Bestrebungen in zu großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung loszuwerden.