Wir sind der

Osten

Kai Kranich

Kai Kranich ist Leiter Kommunikation und Marketing beim Deutschen Roten Kreuz Sachsen und 1982 in Görlitz geboren und in Niesky aufgewachsen.

Geblieben: Kai lebt heute in Dresden.

Foto: DRK Landesverband Sachsen

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Weshalb bist du geblieben?

Ich bin in den Westen gezogen! Nur halt nicht so weit. Ich wollte nicht bleiben. Ich habe früher immer gedacht, ich würde nach Berlin gehen. Dort roch es nach Zukunft. Weiter weg hat es mich nicht in den Westen gezogen. Später eher weiter in den Osten. Ich finde heute den Osten Europas spannender als den Westen. Nach der Wende sind wir nur in den Westen gefahren. Ich hatte das Glück, schon als Schüler in Paris, London und anderen Orten gewesen zu sein. Wir haben an der polnischen Grenze gelebt und ich habe Französisch in der Schule gelernt. Nicht Russisch oder Polnisch. Mittlerweile habe ich mit Dresden meinen Frieden gemacht. Ich finde es toll, so nah an Berlin, Breslau oder Prag zu sein.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Zukunft kann nicht ohne Vergangenheit gestaltet werden. Ich bin Historiker. Ich muss so etwas sagen. Geschichte taugt nicht für politische Inhalte oder Vergleiche. Geschichte hat die Aufgabe, Menschen die Augen über die Gegenwart zu öffnen. Geschichte ist ein Kompass. Mich hat Geschichte gelehrt, wie Politik tiefgreifenden Einfluss auf das eigene Schicksal hat. Ich kann nicht unpolitisch sein. Dann würde ich aufgeben, die eigene Zukunft anderen zu überlassen. Das DRK ist neutral, aber nicht unpolitisch. Mir gefällt das. Neutralität verpflichtet, auf allen Seiten stehen zu müssen. Als letzte Bastion, falls Politik wieder vergessen sollte, dass seine Aufgabe das Wohl aller Bürger ist.

  • 1982

    Görlitz

  • Heute

    Dresden

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

1 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Weil es einen großen Teil meiner Identität ausmacht. Die Herkunft und Geschichte meiner Familie liegt hier. Meine Identität ist aber nicht nur ostdeutsch. Sie ist genauso brüderisch, schlesisch, sächsisch, deutsch und europäisch und manchmal ein wenig polnisch. Mit meiner ostdeutschen Herkunft habe ich immer auch kokettiert. Sie war, in einem sehr westdeutschen Umfeld, welches ich trotz meines Verbleibs in Sachsen hatte, eine Sonderheit und gleichzeitig ein roter Faden. Diese Identität war mir nie ein Hindernis, auch wenn ich sie nicht immer als Stärke verstand. Ich hatte nie das Gefühl jemand anderes sein zu müssen als Kai aus Niesky.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Meine ostdeutsche Herkunft hat wenig mit dem Stereotyp zu tun, das mit einer ostdeutschen Biographie in Verbindung gebracht wird. Meine Familie blieb der Herrnhuter Brüdergemeine treu, wir hatten und haben einen Gartenbaubetrieb und viele Verwandte im Westen. Meine Eltern gingen 1989 auf die Straße, wegziehen wollten sie nicht. Uns ging es nach der Wende in vielerlei Hinsicht besser. Trotzdem, die Mastererzählung zur deutschen Geschichte ab 1945 empfand ich westdeutsch dominiert. Ostdeutsches blieb plakativ. Die Wende beeinflusst mich heute bei Fotoprojekten. Als Kind spielte ich in Industrieruinen und Autofracks. Lost Places und vergessene Geschichte finde ich heute vor allem in Osteuropa.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Die Erkenntnis, dass der Weg, den wir gegangen sind, kein schlechter war. Dass wir lernen über den Tellerrand hinauszuschauen. Wir sollten vergleichen, wie die Transformation in anderen Ländern in Ost- und Mitteleuropa gelaufen ist. Instabilität war dort eine gesamtgesellschaftliche Dauererscheinung. Die Zeit aber lässt sich nicht anhalten. Wir machen uns vieles schwerer, als es ist. Auch wenn ich nicht weiß, ob der Weg, den wir gehen, nicht unzumutbare Härten in sich birgt, versuche ich mich mit Gottvertrauen zu beruhigen.