Karimé Diallo
Karimé Diallo ist 1992 in Nürnberg geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Karimé wohnt aktuell in Dresden, wo sie als Politische Referentin und Aktivistin arbeitet.
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Mein Zwilling* wohnte ab 2011 in Freiberg und hat dort studiert. Damals waren wir oft in Dresden. Ich war wirklich begeistert von der Stadt und konnte mir sehr gut vorstellen, für eine längere Zeit dort zu leben. Nach meinem Bachelor 2015 habe ich dann einen passenden Master im Bereich Internationale Beziehungen gesucht. Daraufhin stieß ich auf den Master-Studiengang am Zentrum für Internationale Studien (ZIS) in Dresden. Vor allem die Spezialisierung auf Rechtswissenschaften hat mir zugesagt. Ich hab mich dann im Sommer 2015 gleich beworben, jenem Sommer, der ja auch als „Sommer der Migration“ und mit dem Aufkommen von PEGIDA in die Geschichte eingehen sollte.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Aktuell konzentriere ich mich auf das Community-Building und die Vernetzung mit anderen BIPoCs in Dresden. Dafür habe ich mich hier unterschiedlichen BIPoC-Selbstorganisationen angeschlossen. Außerdem bin ich Mitorganisatorin von Black Lives Matter Dresden. Ich will Anti-Schwarzen-Rassismus bekämpfen, indem schwarze Perspektiven in einer weißen Mehrheitsgesellschaft hörbar und sichtbar gemacht werden. Das ist mir eine Herzensangelegenheit. Meine anti-rassistische Arbeit verknüpfe ich außerdem mit dekolonialen Forderungen. Als Mitglied von Dresden Postkolonial und Mitbegründerin von inter*kollektiv ist mir ein intersektionaler und transnationaler Anspruch wichtig.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Nein, ich begreife mich nicht als ostdeutsch. Ich begreife mich aber auch nicht als westdeutsch. Letzteres ist ein Wort, das ich vor meinem Zuzug eh noch nie wirklich als Identitätsbeschreibung gehört habe. Aber ich verstehe, woher diese Hervorhebung eines Identitätsmerkmals kommt, aufgrund dessen man strukturelle und persönliche Benachteiligung erfährt. Das ist wie bei anderen Diskriminierungsformen. Deutsch bedeutet im eigentlichen Sinne westdeutsch. Ostdeutsche Geschichte, Erfahrungen, Perspektiven werden marginalisiert.
Ich selbst beschreibe mich als Schwarze Afro-Deutsche cis-Frau.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
PEGIDA hat bewirkt, dass ein großer Teil der Dresdner Stadtgesellschaft sensibilisiert ist und aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsteht. Wer hier lebt, dem ist klar: racism is real. Gerade latenter Rassismus und nationalstaatliches Gedankengut ist deutschlandweit wieder (mehrheits-)gesellschaftsfähig geworden. Der Kampf gegen PEGIDA dauert schon lange an, er verlangt viel Durchhaltevermögen und eine klare Haltung, aber dadurch treten Menschen hier aktiv für eine offene Gesellschaft ein. Hier sind sich viele stärker bewusst, wie tief Rassismus und nationalistisches Gedankengut in Deutschland verankert sind. Dieses Bewusstsein fehlt oftmals noch in Westdeutschland. Und das ist gefährlich.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ich habe viele Geschichten von Ostdeutschen gehört, die nach der Wende nicht mehr in ihren Berufen weiterarbeiten konnten, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt wurden oder weil viele Unternehmen geschlossen wurden. Der Anschluss Ostdeutschlands an Westdeutschland war rein wirtschaftlicher Natur. Ich glaube nicht, dass die Bedürfnisse der Menschen im Osten dabei im Blick waren. Für Westdeutsche hat sich nichts geändert, Ostdeutsche mussten um ihre Existenz bangen und oft nochmal komplett neu starten. Ich habe auch einige Menschen aus Sachsen kennengelernt, die seit der Wende in Bayern arbeiten und regelmäßig am Wochenende nach Hause pendeln. Das ist heute immer noch so.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Natürlich hat mich der extrem hohe Zuspruch für PEGIDA in Ostdeutschland bewegt – und mich unweigerlich noch stärker politisiert. Außerdem wurde mir klar, dass das „Ost-West-Denken“ selbst in Köpfen vieler Menschen meiner Generation noch verankert ist. Auch, welche Schicksale sich wirklich hinter der Wiedervereinigung verbergen, war mir davor so nicht bewusst. Das Leben in Ostdeutschland hat mir nochmal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass die Auswirkungen deutscher Geschichte und der Wende nach wie vor sehr spürbar sind und dass politisches Engagement, Einstehen gegen rechts und soziale Gerechtigkeit wichtig sind.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ich wünsche mir, dass ostdeutsche Geschichte, Erfahrungen und Perspektiven zu einem gleichberechtigten Teil in Deutschland existieren können und ebenfalls hörbar und sichtbar gemacht werden. Ehrlich gesagt, hoffe ich auch, dass immer mehr Menschen aus Westdeutschland „rübermachen“ und umgekehrt genauso. Austausch und die Konfrontation mit anderen Perspektiven und Lebensmodellen ist immer die Basis von Verständnis und Toleranz. Für mich stehen Raum und persönliche Beziehungen in einem Verhältnis zueinander. Orte rücken näher, wenn wir sie mit persönlichen Beziehungen und Geschichten füllen und uns darüber an sie erinnern.