Katja Kipping
Katja Kipping ist Mitglied des Bundestages (Die Linke) und 1978 in Dresden geboren und aufgewachsen.
Geblieben: Katja wohnt aktuell in Dresden und Berlin.
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Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?
Es gab nicht den einen Tag, an dem ich entschied: ‚So ich werde nun politisch aktiv.‘ Vielmehr war es von klein auf ein stetiger Prozess mich einzumischen, den Mund aufzumachen. Zu Schulzeiten war mir wichtig, dass Schülerinnen mehr mitzureden haben, also kandidierte ich als Schulsprecherin. Als Dresdnerin sorgte ich mich nach der Wende um den Erhalt der Dresdner Elbwiesen, also engagierte ich mich bei der Grünen Liga. Im Freiwilligen Sozialen Jahr in Russland beschäftigte mich auch, was der Krieg alles anrichtete, das verstärkte meine antimilitaristische Haltung. Als ich anfing zu studieren, war mir wichtig, dass Bildung keine Ware wird, also engagierte ich mich bei Studierendenprotesten.
Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?
Weniger durch Worte an die jungen Menschen als durch den politischen Einsatz für Verhältnisse zu kämpfen, in denen man niemanden überreden muss zu bleiben. So unterstütze ich beispielsweise die Tarifkämpfe der Beschäftigten bei Riesaer Nudeln, bei Sodexo oder beim Bautzner Senf, die den Einstieg in die Lohngerechtigkeit Ost fordern. Sie fordern eine Selbstverständlichkeit, den gleichen Lohn, den ihre Kolleginnen in dem Unternehmen im Westen bekommen. Und wenn ihre Löhne steigen kommt auch mehr Geld in die Region, Geld das die Binnenwirtschaft ankurbelt.
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Zu allererst fühle ich mich als Dresdnerin oder als demokratische Sozialistin oder als Europäerin. Doch dann gibt es immer wieder diese Momente, wo ich die Ostdeutsche in mir sehr deutlich merke. Das sind schöne Momente z.B., wenn ich mit meiner Tochter zum Monatsende die neue Ausgabe des Mosaik kaufe und die Verkäuferin dabei lächelt und meint, die Geschichte der Abbrafaxe habe sie als Kind auch immer gelesen und wir uns dann anschauen und es diesen kurzen Funken des Verstehen gibt. Den meisten Westdeutschen muss man erst mal erklären, dass das Mosaik ein Comic ist. Aber es gibt auch andere Momente: Wenn in Talkshows Männer, die mal ein paar Tage durch den Osten gereist sind, mir den Osten erklären wollen. Wenn ich in Gesprächen merke, wie wenig der (Wage)Mut verstanden wird, den jene aufgebracht haben, die sich nach der Wende wie mein Vater im Osten selbstständig machen mussten. Aus Mangel an Arbeitsplätzen mussten damals viele den Sprung wagen, oft ohne vererbtes finanzielles Polster, oft ohne die Codes und Tricks möglicher westdeutscher Geschäftspartner und der Banken zu kennen. Beim Streik im Nudelwerk Riesa erzählten mir Beschäftigte, der jetzige Inhaber habe das Werk nach der Wende für eine DM aufgekauft, er kam aus dem Westen. Und sie fügten hinzu: Einen Ostdeutschen hätten sie es nie für eine DM verkauft, der hätte Millionen hinlegen müssen.
Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?
Nicht durch abstraktes Werben für politisches Engagement, sondern ganz praktisch dadurch, dass wir als Linke auf Menschen zugehen u.a. durch Haustürbesuche oder durch Organizing. Dort werden Menschen gezielt angesprochen sich an konkreten Kampagnen, sei es für bezahlbares Wohnen oder gegen den Pflegenotstand, zu beteiligen. Entscheidend ist dabei, nicht nur im Netz präsent zu sein, sondern dorthin zu gehen, wo die Menschen leben, in die Stadtteile. Mein bescheidener Beitrag besteht darin, dass ich immer wieder mit dem Roten Wohnzimmer in Stadtteilen aufschlage. Wir laden vorher per Flyer und Plakaten im öffentlichen Raum dazu ein, dann bauen wir ein kleines Wohnzimmer unter freiem Himmel auf und laden bei einer Tasse Kaffee zum Gespräch. So dass Menschen in Plattenbaugebieten wissen, sie müssen nicht in die Innenstadt oder in die Neustadt fahren um auf Politik zu treffen, sie müssen nur raus aus der Haustür.
Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?
Viele soziale Alternativen, für die ich mich seit Jahrzehnten einsetze, verbessern bundesweit die Situation der Mitte und schützen bundesweit vor Armut, wie die Kindergrundsicherung, eine Rente, in die alle einzahlen, die sanktionsfreie Mindestsicherung, höhere Löhne. Da im Osten im Schnitt die Menschen niedrigere Vermögen haben und es mehr Armut und mehr unsichere Arbeit gibt, hilft es im Osten besonders, aber eben nicht nur. Doch es geht auch darum, wie über den Osten gesprochen wird. Hier versuche ich meine Öffentlichkeit zu nutzen, um die Lebensleistungen von Ostdeutschen und die besonderen Hindernisse, die sie dabei überwinden mussten zu verbreiten. Ganz im Sinne von Respekt für den Osten.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Was ich mir fürs ganze Land wünsche: Dass die Mitte, all jene, die mit ihrer Arbeit den Laden am Laufen halten, besser gestellt werden. Dass alle garantiert vor Armut und vor Altersarmut geschützt sind. Dass jedes Kind einen guten Start ins Leben hat. Dass niemand mehr Sorgen haben muss, über den Monat zu kommen. Und dass wir mit Friedenspolitik und Klimaschutz dafür sorgen, dass wir alle auf diesem Planeten eine sichere Zukunft haben. Dass alle frei von Angst anders sein können und zugleich das Gemeinschaftliche wächst (auch durch eine gut ausfinanzierte öffentliche Hand).