Katja Schlenker
Katja Schlenker ist Kuratorin und 1971 in Güstrow geboren.
Gegangen: Katja wohnt aktuell in Düsseldorf.
Foto: Markus Feger
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Weshalb bist du gegangen?
Das Interesse am Unterwegssein hatte ich schon zu DDR-Zeiten. Meine Eltern haben in jedem Sommerurlaub das Zelt ins Auto gepackt und sind mit uns vier Kindern durch die damalige Tschechoslowakei gefahren, überall hin. Später war ich auf Rucksacktouren – Rumänien, Ungarn. Als 1989 die Mauer fiel, war ich mitten im Abitur, die Türen waren auf einmal offen, genau richtig. Zum Überlegen blieb keine Zeit. Die Möglichkeit des Weggehens war für mich zugleich auch eine Flucht aus dem 1989/90 herrschenden Chaos, der Orientierungslosigkeit, als sich alles in Auflösung befand, alles in Frage gestellt wurde und auch die eigene Familie keinen sicheren Rückzugshafen mehr bot.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Ich bin Kuratorin in einer größeren Bildungseinrichtung in Düsseldorf, die an die Geschichte von Flucht und Vertreibung aus dem ehemaligen deutschen Ostgebieten als Folge der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands erinnert und kulturelle Verbindungen zu Osteuropa aufzeigt. Die Erinnerung an die deutsche Teilung und an die DDR gehört für mich dazu. Mit meiner Arbeit versuche ich, ein tieferes Verständnis von Leben, Kultur und Denkmustern des Ostens einschließlich der Ostdeutschen zu wecken, um Vorurteile abzubauen. Diese Geschichte ist ein Teil von uns allen, egal, ob Ost oder West, sie verbindet uns. Ich sehe mich als eine Art Vermittlerin.
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Meine (ostdeutsche) Kindheit war einfach prägend. Egal, wo in Ostdeutschland, fühlt sich das nach Heimat an. Es gibt in Vielem ein Grundverständnis, eine gemeinsame Basis, weil alle ostdeutsch Sozialisierten sie erlebt haben. Manchmal mache ich aber auch die Erfahrung als Westdeutsche: Für die Menschen in meinem zweiten Wohnsitz Thüringen bin ich zunächst die Frau aus Düsseldorf, aus dem Westen. Sie erzählen mir beim ersten Aufeinandertreffen ihre (ostdeutschen) Geschichten, oft erwähne ich dann auch nicht, dass ich eigentlich Ostdeutsche bin, alles selbst erlebt habe und höre einfach nur zu. Weil das Zuhören einfach gebraucht wird von Vielen, als Ostdeutsche verstehe ich das.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Auf mein Ostdeutschsein bin ich inzwischen stolz, ich habe beide Welten. Das so zu sehen, hat ein paar Jahre gedauert. Meine Familie väterlicherseits hat sich immer stark mit der DDR identifiziert – Kommunisten in der Nazi-Zeit, Vertriebene 1945. 1989/90 war dann auch ein biografischer Bruch für meine Eltern. Mein Vater, plötzlich arbeitslos, zog sich enttäuscht zurück. Dass die elterliche Orientierung wegbrach, empfand ich als schlimm. Meine Generation musste plötzlich, selbst im Aufbruch befindlich, die stärkere sein, besonders emotional. Ich denke, dass ich mit diesen Erfahrungen mehr selbst bestimmt lebe als andere und ich hinterfrage Autoritäten sehr genau.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Dass den Menschen dort der Gestaltungswillen erhalten bleibt und Stolzsein auf die eigene Herkunft zu Offenheit führt.