Wir sind der

Osten

Katrin Cholotta

Dr. Katrin Cholotta ist stellvertretende Referatsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und 1977 in Königs Wusterhausen geboren und aufgewachsen.

Gegangen: Katrin wohnt heute in Berlin.

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Weshalb bist du gegangen?

Ich wollte studieren. Und ich musste mal raus, nicht nur aus dem kleinen KW, sondern auch aus Deutschland. Nach dieser Runde hatte ich tatsächlich kurz darüber nachgedacht, wieder in meinen Heimatort zurückzukehren. Vielleicht war das noch zu früh. Denn zum einen fehlte mir dort die Möglichkeit für einen guten Jobeinstieg, zum anderen sind auch fast alle meine Freunde weggezogen (und übrigens nie wiedergekehrt). Aus beruflichen Gründen habe ich dann gut zehn Jahre in Hamburg gelebt. Zurzeit wohne ich in Berlin und freue mich, im kommenden Jahr wieder zurück ins Brandenburgische zu ziehen. Die Zeit ist offensichtlich reif.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Mein Job ist es, etwas genauer in die Zukunft zu schauen und Vorschläge zu entwickeln, damit es möglichst zum Wohle Vieler verläuft. Genauer gesagt, beschäftige ich mich der Zukunft der Arbeit und den drei großen „D“ – Digitalisierung, Demografie und Decarbonisierung. Diese bringen enorme Veränderungen und Umbrüche mit sich. Es wird große Chancen geben, aber auch Risiken. Das Gute ist: Wir haben es in der Hand. In meiner Freizeit engagiere ich mich im Netzwerk Dritte Generation Ostdeutschland. Denn: Wir brauchen in Zukunft mehr denn je Menschen, die Umbrüche meistern und nicht nur Gewohntes erhalten können. In dieser Hinsicht hat die Dritte Generation Ost wertvolle Erfahrungen gesammelt.

  • 1977

    Königs Wusterhausen

  • 2019

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ostdeutsch wurde ich erst, als ich nach Hamburg ging und dort für meine „guten Integrationsleistungen“ gelobt wurde. Sprich, ich nicht als Ossi erkannt, sondern durch und durch für westdeutsch gehalten wurde. Seither denke ich: out and proud. Das jedoch mit einem zwinkernden Auge; denn wie zufällig ist doch der Ort der Geburt. Meine Familie kommt aus Oberschlesien. Da gab es erst den deutschen Pass, später dann den polnischen. Meine Mutter behielt diesen zeitlebens, während mein Vater nach Übersiedlung die Staatsbürgerschaft der DDR annahm. Dort wurde ich geboren. Am meisten geprägt haben mich jedoch 1990er Jahre, dieses weder DDR noch BRD. Insofern bin ich vielleicht tatsächlich dazwischen.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Die Ostdeutschen mussten sich nach dem Fall der Mauer komplett neu erfinden, vieles improvisieren, ausprobieren, wieder verwerfen, in jedem Fall aber die gewohnten Pfade verlassen, Neues lernen. Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Mir ist bewusst, dass alles ganz anders kommen kann als gedacht und vieles nicht vorhersehbar ist. Veränderungen und Unsicherheiten begegne ich deshalb mit einer gewissen Gelassenheit und viel Neugierde. Ich bin dankbar für die Chancen, die sich mir bieten und die meine Eltern nie hatten. Insofern hat mich meine ostdeutsche Herkunft vielleicht besonders sensibel gemacht für systembedingte Ungerechtigkeiten, denen ich mich auch heute entschieden entgegenstelle.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir eine gemeinsame Zukunft, mit einem gesamtdeutschen Blick nach vorn und auch zurück. Dazu gehört vor allem, dass wir endlich aufhören, unsere gesellschaftlichen Probleme zu „ossifizieren“. Wie beispielsweise den wachsenden Rechtspopulismus. Es bringt uns keinen Schritt weiter, diesen als ein isoliert ostdeutsches Phänomen zu deklarieren, so als habe „Westdeutschland“ nie etwas mit den Verwerfungen der Nachwendezeit zu tun gehabt. Und ich wünsche mir mehr Zuversicht und gegenseitiges Vertrauen, dass wir die großen Herausforderungen und Umbrüche meistern, ohne das Ost gegen West oder West gegen Ost ausgespielt wird. Ach ja, den Soli haben übrigens auch die Ostdeutschen gezahlt.