Marie Kohlen
Marie Kohlen ist 1991 in Neuss am Rhein geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Marie wohnt aktuell in Stralsund, wo sie als Gebärdensprachdolmetscherin arbeitet.
Foto: Dan Kögler
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Für mein Studium „Gebärdensprachdolmetschen“ bin ich 2010 nach Magdeburg gezogen. Da dieser Studiengang an sehr wenigen Hochschulen in Deutschland angeboten wird, fiel meine Wahl auf Magdeburg. Schnell lernte ich die Stadt und das schöne Mitteldeutschland lieben und entschied, auch aufgrund einer Beziehung, auch nach Studienabschluss dort zu bleiben. Bis 2019 lebte ich in einem kleinen Ort außerhalb von Magdeburg. Dann zog es mich aufgrund meiner Liebe zum Kitesurfen und einer weiteren Firmengründung („DeafVentures„) in das wunderschöne Stralsund und in die Nähe der Ostsee.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Mit meinem Beruf als Gebärdensprachdolmetscherin ermögliche ich Menschen, die auf die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel angewiesen sind, barrierearmen Zugang zum alltäglichen Leben. Ob beim Arztbesuch, bei Elterngesprächen in der Kita/Schule, Betriebsversammlungen oder der Hochzeit: Überall da, wo Hörend auf Gehörlos trifft und eine Kommunikationsbarriere entsteht, komme ich zum Einsatz. Dadurch habe ich einen sehr abwechslungsreichen Beruf.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Weder ein klares Ja, noch ein klares Nein. Mittlerweile lebe ich seit zehn Jahren in ostdeutschen Städten, also ein Drittel meines Lebens. Kann man sich da schon ostdeutsch fühlen oder „noch“ westdeutsch? Ich würde es eher mit einem „hingezogen fühlen“ beschreiben, hingezogen zu Ostdeutschland, weil mir NRW immer zu voll war und ist – und hier einfach noch so viel Luft nach oben ist. Vieles darf sich hier noch entwickeln und aufbauen, auch wenn das mit viel Arbeit verbunden ist.
Andererseits habe ich aufgrund meiner Familie natürlich auch noch immer eine starke Verbundenheit zu Westdeutschland.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Meine Familie hatte schon immer viel übrig für die ostdeutschen Städte. Alle haben sich gefreut, als ich nach Magdeburg gezogen bin. Mein Bruder folgte mir für sein Studium sogar nach Magdeburg. Vor Ort habe ich persönlich nur gute Erfahrungen gemacht. Das Thema „DDR und Ostdeutschland“ ist in meiner Generation kein sehr präsentes mehr gewesen. Eigentlich wurde ich dann immer nur in Ostdeutschland mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert und habe den einen oder anderen Spruch gedrückt bekommen (ältere Generationen, die in der DDR gelebt haben und diese auch zurückwünschen). Allerdings habe ich mir das nie zu Herzen genommen und mich auch nicht persönlich angegriffen gefühlt.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ich denke, Westdeutsche hatten zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung durch ihre weltbewandertere Erfahrung einen Vorteil darin, wirtschaftlich sich etwas in der alten DDR schnell aufzubauen und auszubreiten. So schnell und attraktiv konnten sich die damaligen Betriebe nicht weiterentwickeln.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Über die Geschichte und Wiedervereinigung habe ich gelernt, dass es immernoch so viele Menschen gibt, die sich sehr nach der DDR sehnen, diese sehr zu schätzen wussten und wie viel die Wiedervereinigung damals innerhalb der DDR auch kaputt gemacht hat (wirtschaftlich). Für viele Menschen brach damit sehr viel zusammen, trotz dessen dass zahlreiche Menschen unter der DDR gelitten haben und die Wiedervereinigung natürlich sehr viele neue Chancen und positive Veränderungen mit sich brachte.
Gelernt habe ich auch, alte Ressourcen mehr zu verwerten und aufzubrauchen, ehe etwas ganz Neues dazu geholt werden sollte.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Für Ostdeutschland wünsche ich mir, dass notwendige Änderungen schneller und fitter erkannt und umgesetzt werden. Dass häufiger noch etwas moderner gedacht wird. Wirtschaftlich gesehen ist es an der Zeit, dass alle Berufsgruppen deutschlandweit die gleichen Gehälter verdienen. Ostdeutschland ist landschaftlich ein wahrer Diamant. Ich wünsche mir, dass das nach wie vor gesehen und erhalten wird.