Medine Yilmaz
Medine Yilmaz ist 1982 in West-Berlin geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Medine wohnt aktuell in Erfurt, wo sie als Konferenzdolmetscherin arbeitet.
Foto: Robert Müller
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich bin zum Studieren nach Thüringen. Eigentlich wollte ich wieder zurück nach Berlin, da ich dort am häufigsten als Konferenzdolmetscherin arbeite. Aber zur selben Zeit wie das Ende meines Studiums sind viele Geflüchtete nach Thüringen gekommen. Ich konnte mich vielseitig für sie einbringen und engagieren, eine Art Sprachrohr für sie sein. In Thüringen gibt es nur wenige Migrant*innen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und eine Art Brückenfunktion zwischen den Ostdeutschen und Geflüchteten übernehmen können. Deshalb habe ich mich entschieden, für diese Menschen hier zu bleiben. Außerdem gefällt mir mit zunehmendem Alter die Ruhe hier.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Ehrenamtlich habe ich den Verein Frauen für den Nahen Osten e.V. gegründet. Die Fördergelder dafür versuchen wir in Thüringen zusammenzubringen. Dabei sensibilisieren wir die Mehrheitsgesellschaft in Thüringen für die Probleme dieser Region. Manchmal ändern die Leute dann dank uns ihre Einstellung gegenüber Migrant*innen gegenüber. Sie verstehen dann nämlich die Ursachen von Flucht und Migration besser und sehen es ganzheitlich.
Als Privatperson verstehe ich mich als Mutter im Geiste vieler jungen Migrantinnen, die ich seit ihrer Ankunft in Deutschland intensiv betreue und ihnen somit zu einer besseren Integration in der ostdeutschen Gesellschaft verhelfe.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Nein. Ich fühle mich weder westdeutsch noch ostdeutsch, oder türkisch oder kurdisch. Ich fühle mich hybrid. Dazu gehört aber auch ein Stück ostdeutsch-Sein. Ich fühle mich hier beheimatet, wobei ich mich da beheimatet fühle, wo ich mich angenommen und akzeptiert fühle. Und in meiner kleinen Blase in Erfurt zwischen den vielen netten Menschen (die zur Hälfte aus Westdeutschland kommen und zur anderen Hälfte Ostdeutsche sind), fühle ich mich sehr gut.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Die meisten Freunde haben mir abgeraten, nach Thüringen zu ziehen, da sie Angriffe von Nazis befürchtet haben. Kurz nachdem ich hierher gezogen bin, sind auch die NSU-Morde aufgedeckt worden, was meine Freunde in ihrer Haltung noch bekräftigte.
In der Tat war die Ankunft auch nicht ganz einfach. Mir hat viel Hintergrundwissen über die Sorgen der Menschen hier gefehlt. Bei stereotypen Aussagen Migrant*innen gegenüber habe ich mich sofort aufgeregt oder fühlte mich genervt, wenn sie mir Fragen über meine Herkunft gestellt haben. Mit der Zeit habe ich aber auch die Erkenntnis gewonnen, dass sie es nicht wirklich böse meinen und ihnen oftmals der Kontakt zu Menschen aus anderen Ländern fehlt.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ich habe zwei Jahre in einem Thüringer Ministerium gearbeitet. Fast alle Abteilungsleiter*innen sind Westdeutsche. Schaut man sich in ganz Thüringen die bedeutenden Leiter*innen-Stellen an, stellt man fest, dass sie alle westdeutsch besetzt sind. Selbstverständlich musste das westdeutsche System nach und nach in Ostdeutschland aufgebaut werden. Dazu hat man sicherlich westdeutsche Expert*innen benötigt. Aber spätestens nach 30 Jahren der Wiedervereinigung sollte die westdeutsche Dominanz abnehmen!
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Das Einzige was ich vorher wusste war, dass es eine Mauer gab. Ich hatte Ostdeutschen gegenüber Vorurteile. Im Studium vertiefte sich mein Wissen.
Ja, das DDR-Regime war eine Diktatur und hat vielen Menschen die Träume geraubt, aber nicht wenige unpolitische Menschen erinnern sich an ihren Alltag von damals positiv und wünschen sich heute das ein oder andere sehnlichst zurück. Das Bildungssystem soll zum Beispiel sehr gut gewesen sein. Wenn man aber alles von damals schlecht redet, fühlen sie sich angegriffen. Hier ist Vorsicht geboten. Ich zumindest habe viel Empathie für sie entwickelt und kann es jetzt differenziert betrachten.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Eine bessere Infrastruktur für die Landkreise, damit die älteren Menschen mobiler sein können. Mehr international Reisende und stärkeren Austausch zwischen Ostdeutschen und Menschen anderer Nationen. Dass die Westdeutschen ihre Vorbehalte Ostdeutschen gegenüber hinterfragen. Für Ostdeutschland mehr Toleranz und Öffnung anderen Kulturen und Menschen gegenüber. Mehr Migrant*innen in der Verwaltung. Und dass Thüringen als schönes Reiseziel wahrgenommen wird.