Wir sind der

Osten

Michael Bohmeyer

Michael Bohmeyer ist Initiator von Mein Grundeinkommen und 1984 in Neuenhagen bei Berlin geboren.

Geblieben: Michael lebt heute in Berlin.

Foto: Romy Geßner

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Weshalb bist du geblieben?

Kreuzberg ist mein Kompromiss aus meiner Liebe zu meiner Ostherkunft und meiner Sehnsucht nach der großen Welt. Die märkische Heide ist nah genug, um bei einem Ausflug in einem Gasthaus mit bröckelndem Putz Senfeier und einen unfreundlichen Spruch zu bekommen. Gleichzeitig ist es hier nicht so homogen biodeutsch wie in Ostberlin und nicht so piefig wie im Umland. Ich liebe meinen Osten, aber zu viel davon nervt. Für mich ist es schön, zwischen den Welten zu wandeln. Das geht in Kreuzberg. Hier ist in alle Himmelsrichtungen Osten aber mittendrin Multikulti. Man ist hier genauso wenig ein Teil des normalen Deutschlands, wie man sich als Ossi manchmal nicht so als Teil von Deutschland fühlt.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich teste mit meinem Projekt das Bedingungslose Grundeinkommen aus – ganz praktisch, indem wir es einfach verschenken. Daraus ist eine große Bewegung mit über 1,5 Millionen Menschen und hunderten Grundeinkommensbezieher*innen geworden. Wir sammeln Praxisbelege dafür, ob diese Idee funktioniert.

  • 1984

    Neuenhagen bei Berlin

  • 2019

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

5 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich erkenne mit hoher Trefferquote Ossis schon aus der Ferne. Ich hab da einfach einen Blick für. Mit ihnen stellt sich so ein merkwürdiges Vertrautheitsgefühl ein. Es fühlt sich an, als würden wir uns sagen: Wir zwee beede – wir sind hier die Underdogs. Das ist nicht resignierend gemeint, eher verständnisvoll, manchmal fast etwas verschmitzt und verbrüdernd. Ich rede mir zwar ein, dass ich nicht so durchsetzungsstark bin wie meine West-Freunde. Aber anders als einige von ihnen kann ich dieses sich-selbst-verkaufen-müssen, diesen verinnerlichten Kapitalismus nicht so ernst nehmen. Ich muss eher über ihn lachen – weil er zerfallen kann. Genau wie der Sozialismus meiner Kindheitstage.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Meine Eltern haben nach der Wende sehr viel gearbeitet und waren wenig da. Das hat in mir die Sehnsucht nach einer solidarischeren Gesellschaft mit mehr Zeitwohlstand und Selbstbestimmung geweckt. Von ihnen hab ich mir abgeguckt: hohe Anpassungsfähigkeit, schnell neue Systeme zu verstehen – und zu hacken, einen stolzen Pragmatismus, eine selber-machen und einfach-ausprobieren-Mentalität mit schnellem Scheitern und Neustarten. Und alles nicht zu ernst nehmen.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Die emotionale Aufarbeitung der schmerzhaften Entsagungen der Wendezeit und des Frusts über die verpasste Wendechance, eine Aufarbeitung der Treuhand und des Ausverkaufs an die West-Industrie. Eine Art nachgeholtes ’68, um die verinnerlichten autoritären Muster und Erziehungsmethoden besser zu erkennen – die z.B. zur starken AfD führen. Ein neues Selbstverständnis als transformationserfahrene Elite, die den Kapitalismus verändern kann, weil sie ihn noch immer nicht ganz verinnerlicht hat. Mehr coole Städte wie Leipzig. Grundeinkommen für alle statt Braunkohle. Und mehr Freundlichkeit in der brandenburgischen Gastronomie. Das letzte erscheint mir allerdings unrealistisch.