Niklas Nienaß

Niklas Nienaß ist Mitglied des Europaparlaments (B’90/ Die Grünen) und 1992 in in Marl (bei Münster) geboren und erst später nach Ostdeutschland gezogen.
Rübergemacht: Niklas wohnt aktuell in Rostock.

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Weshalb bist du rübergemacht?

Ich wollte mehr über „den Osten“ erfahren. Im Westen hört man viele Geschichten und auch Vorurteile („mit unserem Geld wird drüben jetzt alles schön saniert und hier verfällt alles“), deswegen wollte ich mir ein eigenes Bild machen. Es war so schön, dass ich gerne geblieben bin, aber auch um einiges noch schöner zu machen. Und nein, die Vorurteile aus dem Westen haben sich nicht bewahrheitet.

Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Ich war bereits früh politisch interessiert. Besonders geprägt hat mich aber wohl die Erfahrung, Ideen in die Tat umzusetzen. Es hat mit kleinen Konzerten und Veranstaltungen angefangen, um jungen Bands einen Gig zu ermöglichen und Jugendlichen ein schönes Wochenende. Zu sehen, dass das funktioniert und man das Leben anderer durch gute Entscheidungen bereichern kann, war beflügelnd. So habe ich nach den Hebeln gesucht, die weitgehende Veränderungen anstoßen können und bin politisch abstrakter aktiv geworden.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Jeder Mensch hat eine gewisse Heimatverbundenheit. Den Ort, in dem man aufgewachsen und viele Erfahrungen gesammelt hat, vergisst man nicht einfach. Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen sich mehr Möglichkeiten zur persönlichen Selbstverwirklichung in ihrer Heimatregion wünschen, um beides miteinander zu verbinden. Diese Möglichkeiten wird es aber nur geben, wenn wir sie vor Ort schaffen. Das erfordert zwar viel Aufwand und persönliche Stärke, aber die Resultate sind etwas ganz besonderes.

  • 1992

    Marl (bei Münster)

  • Uetersen (bei Hamburg)

  • Aachen

  • USA

  • Südeuropa

  • Kenia

  • 2021

    Rostock

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich fühle mich „ostdeutsch“, wenn ich dreiviertel sage oder Pfeffi trinke. Ansonsten eher Norddeutsch, als Wahlmecklenburger ist das die treffendere Definition. Von der Einteilung in Ost- und Westdeutsche halte ich als Jahrgang 1992 wenig. Ich habe die (physische) Mauer nicht kennengelernt, keine*r aus meiner Generation hat das. Mit meiner Migrationsgeschichte würde ich mich ehr als Gesamtdeutscher und definitiv als Europäer bezeichnen. Insgesamt ist die Mauer in den Köpfen aber noch nicht überwunden. Das zeigt sich vor allem bei meiner Elterngeneration, die immer noch Vorurteile produziert ohne diese jemals durch Erfahrungen zu relativieren. Traurigerweise werden diese Vorurteile auch häufig von jüngeren Menschen reproduziert. Wir brauchen, gerade in den jüngeren Generationen, mehr Austausch und mehr gesamtdeutsche Erfahrungen.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Ich denke, dass die Geschichte Ostdeutschlands die Menschen mit einem gesunden Misstrauen an Parteien ausgestattet hat. Ich möchte zeigen, dass wir heute ein anderes Politikverständnis haben als damals. Ein Politikverständnis, dass insbesondere von der Selbstermächtigung lebt. Parteien sind Zusammenschlüsse von echten Menschen, die etwas voranbringen wollen, etwas verändern und hoffentlich verbessern wollen. Ein Engagement in Parteien kann helfen, die Wirklichkeit vor Ort zu verbessern und ist notwendig, um eine Vertretung der eigenen Interessen in den Parlamenten zu bekommen. Damit die Menschen aber mehr Vertrauen in die Parteien bekommen, müssen wir sie zugänglicher gestalten und Ängste nehmen.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Es gibt viele politische Vorschläge, die wir (alle) regelmäßig wiederholen, wie die Anpassung von Löhnen und Renten, eine Quote in Vorständen von privaten und öffentlichen Einrichtungen, bessere Strukturen in Ostdeutschland, die Ansiedlung von Unternehmen, Ministerien und Ämtern und so weiter. All diese Forderungen sind richtig, aber was ich mir nach vielen Gesprächen insbesondere mit älteren Ostdeutschen wünsche, sind zwei Dinge: erstens eine Anerkennung der Lebensleistung. Das beginnt vor allem im Westen. Westdeutsche müssen mehr über ostdeutsche Kultur lernen, über das Leben in der DDR, welches nicht nur aus Stasi und SED bestanden hat, sondern auch aus Klubs, Freizeit, Arbeit, Liebe und vielem mehr. Westdeutsche sollten ostdeutsche Erfindungen, Literatur, Musik, Rezepte und vieles mehr kennen und schätzen lernen. Und zweitens müssen die gesamten Umstände um die Treuhand lückenlos aufgeklärt werden. Viele Menschen beschäftigt der „Ausverkauf der DDR“ immer noch sehr. Eine ehrliche Aufarbeitung ist wichtig, um Frieden zu schaffen und die Mauer in den Köpfen zu zerstören.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Mehr Mut, mehr direkte Beteiligung der Bevölkerung, mehr Struktur und mehr Zuversicht. Ostdeutschland hat so viel zu bieten, kulturell, historisch, landschaftlich, wirtschaftlich und auch geostrategisch. Ich wünsche mir eine Politik in Ostdeutschland, die sich nicht damit zufrieden gibt, den Verfall zu verwalten, sondern die Aufbruch wagt, in die Zukunft investiert und Ostdeutschland mehr Selbstbewusstsein gibt.