Wir sind der

Osten

Prof. Dr. med. Beate A. Schücking

Beate A. Schücking ist 1956 in Kassel geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Beate wohnt heute in Leipzig, wo sie als Universitätsrektorin und Professorin arbeitet.

Foto: Universität Leipzig/Christian Hüller

Das Profil teilen:

Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Ich wurde vom Senat der Universität Leipzig gewählt, habe aber auch mit Begeisterung eine Familientradition fortgeführt: Ich wirke bereits in dritter Generation mit an der Gestaltung der Uni Leipzig. Die Universität mit ihrer 610 Jahre währenden Geschichte als 1. Rektorin leiten zu dürfen, ist eine besondere Aufgabe. Insofern war es in erster Linie eine Entscheidung für die Uni, und weniger eine bewusste für Ostdeutschland. Zuvor hatte ich Anfragen renommierter westdeutscher Unis, mich zu bewerben, abgelehnt. Dennoch habe ich Leipzig erst mit dem Umzug intensiv und in allen Facetten kennengelernt. Mein Enthusiasmus für Stadt und Universität ist geblieben – eher noch gewachsen.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Seit 2011 leite ich die Universität Leipzig. Es ist mir eine Herzensangelegenheit und tägliches Bemühen, diese ehrwürdige, 1409 gegründete, aber nach der Wende durch viel Transformation geprägte und für die Bildungslandschaft nicht nur Mitteldeutschlands wichtige Alma Mater zu modernisieren und in Forschung, Lehre und Transfer so voranzubringen, dass sie ihren angestammten Platz unter den führenden Universitäten wieder einnimmt. Die letzten Jahre harter Arbeit vieler Beteiligter haben eine sehr positive Entwicklung ermöglicht. Trotz Stellenkürzung ist die alte Landesuniversität zu neuem Glanz erstrahlt.

  • 1956

    Kassel

  • Ulm

  • Paris

  • Biberach

  • Marburg

  • München

  • Osnabrück

  • Wien

  • Boston

  • Heute

    Leipzig

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Ich fühle mich gesamtdeutsch! Und denke auch, dass für akademische Wandertiere wie mich die Grenzen einfach fließender sind. Ich kenne auch gebürtige Leipziger, die ähnlich empfinden, weil sie ihre berufliche Sozialisation im Westen verbracht haben. Übrigens kann ich auch ähnliches in Bezug auf mein Heimatherkunftsland Hessen sagen: Menschen mit starker regionaler Verwurzelung gibt es dort – wie in Bayern, Hamburg oder Thüringen – auch, aber ich empfinde mich aufgrund meiner Vita nicht als Hessin. Und noch eine Beobachtung: Eine Ost-West-Denke verschwindet, je jünger die Menschen sind – zumindest an der Universität.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Meine Erfahrungen mit Leipzig sind überaus positiv. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und ich habe viele großartige Menschen kennengelernt, innerhalb und außerhalb der Uni. Mein Sohn hat hier seinen Schulabschluss gemacht, er ist ebenso begeisterter Leipziger geworden. Auch die erweiterte Familie hat sich mit mir gefreut und ist gerne zu Besuch hier. Manche Familienmitglieder sind sogar auch hierher gezogen.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Westdeutsche hatten Vorteile, vor allem kurz nach der Wende, als es Führungskräfte brauchte, die vielfach aus dem Westen geholt wurden – und heute manchmal ihrerseits ähnlich rekrutieren.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Von Anfang an beeindruckt hat mich das unterschiedliche Rollenverständnis, gerade von Frauen. Dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nie grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es gibt hier viele freie, selbstbewusste Frauen, in meiner Generation vermutlich mehr als in der alten Bundesrepublik. Allerdings: Auch Leipzig kann noch einen Zuwachs an weiblichen Führungskräften gebrauchen. Die Wiedervereinigung war mir durch mein grenznahes Aufwachsen bedeutsam; ich habe aber viele Westdeutsche getroffen, für die sie kaum eine Rolle spielte. Meist hatten sie weder regional noch familiär Berührungen gehabt. Schade, dass dies auch nach 30 Jahren häufig so ist.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Eine nachhaltig gelingende Zukunft! Für Ost und West! Die Wiedervereinigung war sicherlich eine Art Hochzeit des reichen Mannes mit der weniger betuchten Braut aus guter Familie. Am Anfang hatte die Braut wenig zu sagen. Nun hat man Höhen und Tiefen der Ehe durchlebt, Krisen bewältigt … Hoffentlich wächst bis zur Goldenen Hochzeit noch die Gewissheit, dass das Miteinander mehr bringt, als man jeweils alleine könnte. Und dass man auch voneinander lernen muss, damit die Gemeinsamkeit wirklich gelingt und Früchte trägt. Viele leben dies bereits und die gemeinsamen Aufgaben – wie Klimawandel, Integration von Geflüchteten, Pandemie – zeigen doch, dass die Lösungssuche verbindet.

Wir sind der

Osten