Wir sind der

Osten

Ralf Lippold

Ralf Lippold ist 1965 in Mainz geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Ralf wohnt aktuell in Dresden, wo er als Diplom-Kaufmann arbeitet.

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Während eines Studienpraktikums in Dresden im Sommer 1993 gab es zwei prägende Momente:

1. In einer Buchhandlung holte ich ein Buch ab, nannte meinen Nachnamen und wurde gefragt: „Welcher Lippold?“ „Ralf Lippold!“ Die Frage, die folgte: „Welche Straße?“ Hier musste es mehr Lippolds als zu Hause geben.

2. Beim Bestellen einer CD nannte ich meinen Namen und sah, dass er korrekt geschrieben war: „Oh das ist ja korrekt!“ Prompte Erwiderung, „Wie hätte ich es denn sonst schreiben sollen?“ Bis zu diesem Tag hatte unsere ganze Familie eine Vielzahl unterschiedlichster Schreibweisen erfahren – die richtige war nie darunter!

Sachsen schien also mögliche Region meiner Herkunft zu sein.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Meine Zeit beim Aufbau des BMW-Werks Leipzig, während der ich mein Wissen bei der Transformation analoger Unternehmensprozesse hin zu digitaler Wertschöpfung umsetzte, war prägend. Digitale Kommunikation wurde zu meinem Steckenpferd und ich zu einem sogenannten Boundary Spanner.

Kurz vor der Finanzkrise 2008 hatte ich nach einem Besuch einer finnischen Managementhochschule die Vision des Aufbaus eines interdisziplinären Technology Accelerators: ein Ort, an dem Menschen ihre Stärken im wirtschaftlichen Sinne für die Gesellschaft umsetzen können.

Heute arbeite ich als Geschäftsfeldentwickler in einem Dresdner Start-up, um e-Ticketing im ÖPNV und Sharing-Mobility Umfeld noch attraktiver zu machen.

  • 1965

    Mainz

  • Bamberg

  • Dresden

  • Mainz

  • Dresden

  • Regensburg

  • Leipzig

  • Heute

    Dresden

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Ja. In meiner Brust schlagen zwei Herzen: Zu gleichen Teilen das des Rheinhessen, gebürtig aus Mainz am Rhein, und das des Dresdners, dem die Menschen in Stadt und Region am Herzen liegen. Fragt man jemanden aus Westdeutschland, werde ich als Ostdeutscher wahrgenommen. Hier bin ich seit über 20 Jahren zu Hause und vertraut, kenne die Besonderheiten und Herausforderungen, teilweise aus eigenem Erleben. Umgekehrt bin ich für Einheimische der zugereiste Wessi. Als ich 2001 Kollegen auf die Frage „Wie lange bleiben Sie denn?“ erklärte, dass ich nicht beabsichtige, wieder in den Westen zu gehen, konnten sie das nicht verstehen. Alle übrigen aus dem Westen stammenden Mitarbeiter waren nur für wenige Jahre geblieben.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Bereits während meiner Studienzeit in Bamberg, wo ich im Winter 1990/91 VWL weiterstudierte, zog es mich immer wieder auf die thüringische Seite. Ob aus purer Neugier oder der Faszination von romantischen Bahnnebenstrecken wegen, letztlich erfuhr ich durch Gespräche mit Einheimischen viel von dem, was man nicht in den Zeitungen lesen konnte. Als ich 1995 zu Studienpraktikum und abschließenden BWL-Studium nach Dresden wechselte, wurde ich von vielen Kommilitonen als Einheimischer betrachtet, da ich keinen erkennbaren Akzent sprach und mich darüber hinaus sowohl sehr gut in Dresden und Umgebung auskannte und über die lokale Wirtschaftsgeschichte informiert war. Ich fühlte mich hier zu Hause!

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Insbesondere in den frühen und mittleren 90er Jahren war der Bedarf an gut ausgebildeten Akademikern, insbesondere im Verwaltungsbereich, sehr hoch und wurde durch Absolventen aus dem Westen des Landes befriedigt. Viele der damaligen Absolventen sind heute um die 50 und oft in Leitungspositionen. Nicht verwunderlich ist, trotz der 30 Jahre zurückliegenden Wende, dass sich dadurch Personalstrukturen verstetigten, da regelmäßig die Personen Führungspositionen einnehmen, die vorher von ihren aus dem Westen stammenden Vorgängern eingenommen worden sind. Zwischenzeitlich ändert sich die Situation glücklicherweise, wie man z. Bsp. an Ministerpräsidenten und Ministern sehen kann.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Die letzten 30 Jahre waren in Dresden, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aus meiner Sicht durch zahlreiche Wendepunkte geprägt:

1991 Euphorie (kompletter Neustart)
1993 Verhaltener Aufbruch (Ortsfremde in Schlüsselpositionen)
1995 Pragmatismus (junge Generation mit DDR-Erfahrung studiert)
2001 Downsizing (in öffentlichen Betriebe und Verwaltung)
2003 Neustart (Aufbruch nach der DotCom-Krise)
2008/2009 Vorsichtiger Neustart (nach der Finanzkrise)
2011 ff. Jeder für sich (Ost-West)
2015 Gefühlte/erlebte Ungerechtigkeit (Flüchtlingskrise)
2020? Kohletransformation, Regionalentwicklung

Wie die Systemdynamik der obigen Phasen zur heutigen Realität geführt haben, wurde bislang kaum untersucht.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass die Region Ostdeutschland zu alter Wirtschaftskraft und positiver Gesellschaftsgestaltung zurückkehrt: Die Menschen sind das wertvollste Gut einer Volkswirtschaft. Dies ist in den vergangenen 30 Jahren von Politik und Wirtschaft zu oft vergessen worden – im Austausch für schnellen Profit, nahende Wahlen und aus Angst, die damit verbundenen Herausforderungen anzusprechen und aktiv anzunehmen.