Wir sind der

Osten

Romy Schmidt

Romy Schmidt ist Regisseurin und Kuratorin und in Löbau geboren.

Gegangen: Romy wohnt aktuell in Bochum, Görlitz und Berlin.

Foto: Meike Willner

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Weshalb bist du gegangen?

Ich bin damals aufgrund meines Studiums nach Stuttgart gegangen. Es folgten später viele weitere Stationen als Regisseurin. Ein Grund war außerdem, dass ich Ende der Neunziger, Anfang der Nullerjahre dem ständig präsenten Rechtsruck und der mir damals nicht vollbewussten Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung der Menschen nach der friedlichen Revolution entkommen wollte. Natürlich wollte ich auch neue Orte und Regionen sehen, mich von meinem Elternhaus emanzipieren und mich selbst behaupten.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich bin Regisseurin und arbeite mit meinem Theaterkollektiv WHY NOT? an neuen Formen der Narration und Fragen der Repräsentation und Sichtbarkeit. Gerade arbeite ich an einem Recherchevorhaben „Das Leben der Anderen – die Anderen leben“ im Rahmen der Initialförderung des Fonds Darstellende Künste. Ich untersuche den Kulturbetrieb bezüglich der Darstellung des Osten Deutschlands und der dort lebenden und daher kommenden Menschen. Ich sammle darüber hinaus originäre Stimmen verschiedener Generationen und Communities, um damit die hegemoniale Erzählung auf Unschärfe zu prüfen. Damit hat sich für mich ein weites Feld eröffnet, dem ich mich in den nächsten Jahren künstlerisch widmen werde.

  • 1979

    Löbau

  • 2020

    Bochum, Görlitz; Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich fühle mich definitiv ostdeutsch. Erstaunlicherweise habe ich bis in die frühe Kindheit noch sehr viele Erinnerungen. Ich wurde bis ich zehn Jahre alt war sozial, kulturell und auch politisch von einem Land geprägt, das es plötzlich nicht mehr gab – mir aber durch Biografien und Geschichten immer wieder begegnet. Auch ich habe als Kind den Umbruch durch die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung im familiären Kreis und in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Ich spüre das Gefühl, ostdeutsch zu sein besonders, wenn ich im Osten unterwegs bin oder einer Komplizin oder einem Komplizen begegne. Das ist schön.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Gerade arbeite ich mich am Thema der ostdeutschen Herkunft, ostdeutscher Geschichte und Marginalisierungen sowie einer möglichen gesamtdeutschen Erinnerung künstlerisch ab. Dem ging ein langer Prozess voraus. Ich entschied, meine ostdeutsche Herkunft nicht mehr zu verstecken, sondern als „Autorin“ dafür einzustehen. Ich arbeite schon länger an den Themen Freiheit und Verantwortung in künstlerischen Prozessen. Entspricht mein Wunsch, in einem gleichberechtigten Kollektiv zu arbeiten, der Entwicklung von entsprechenden Arbeitsweisen und die kritische Auseinandersetzung mit alten Strukturen, meiner Biografie? Und natürlich hat mich DDR Architektur, Design und Stadtplanung geprägt.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir für Ostdeutschland: einen multiperspektivischen Blick auf die Gesellschaft, mehr Teilhabe an gesamtdeutschen Prozessen und Entscheidungen, dass es überflüssig wird, über eine Quote zu sprechen, ein neues Selbstverständnis, viele nachhaltige Arbeitsplätze, dass Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement mehr gefördert werden, dass die Attaktivität für Zuwanderer*innen steigt, viele Rückkehrer*innen, viele weise, weibliche Führungspositionen, ein großes Ministerium mit Mitarbeiter*innen für den Ostbeauftragten sowie ein angemessenes Budget, die Entwicklung einer kollektiven Erinnerung(-skultur) an die gesamtdeutsche Geschichte in gemeinsamer Autor*innenschaft.