Wir sind der

Osten

Sandra Schmidt

Sandra Schmidt ist Referatsleiterin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk und 1980 in Bad Belzig geboren und in Brück aufgewachsen.

Gegangen: Sandra lebt heute in Paris.

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Weshalb bist du gegangen?

Meine Eltern haben immer davon geträumt, die DDR zu verlassen, frei zu sein, obwohl es ihnen in der DDR nicht schlecht ging. Im Frühsommer 1989 nutzte meine Mutter die Einladung ihrer Tante aus dem Westen. Sie kam nicht zurück, sie ging damit das Risiko ein, ihre Kinder auf längere Zeit nicht wiederzusehen. Mein Vater stellte einen Antrag auf Familienzusammenführung. Die Ausreisegenehmigung war für den 13.11. Er musste alles verkaufen, was nicht ins Auto passte. Wenn wir gewusst hätten, dass am 9.11. die Mauer fällt, wären wir vielleicht gar nicht aufgebrochen. In der ländlichen, katholisch geprägten Gegend im tiefsten Niedersachsen war der Neuanfang sehr schwer.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Beruflich wie persönlich bin ich engagierte Europäerin. Ich wohne seit 8 Jahren in Frankreich. Durch meine Arbeit beim Deutsch-Französischen Jugendwerk bin ich regelmäßig in Deutschland. Wir setzen uns dafür ein, dass junge Menschen aus beiden Ländern an Austauschprojekten im Partnerland teilnehmen können und interkulturelle Erfahrungen machen. Wer über den Tellerrand schaut, Freundschaften mit Menschen aus anderen Regionen oder Ländern knüpft, ist hoffentlich weniger anfällig für Fremdenfeindlichkeit, Hass und Ausgrenzung. Jedes Jahr nehmen bis zu 200.000 Menschen an Programmen des DFJW teil. Wir versuchen, auch junge Mensche aus den östlichen Bundesländern verstärkt zu erreichen.

  • 1980

    Bad Belzig

  • Vechta

  • Osnabrück

  • 2019

    Paris

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Wenn man mich nach meiner „Herkunft“ fragt, versuche ich meine beiden Heimaten – Ost und West – gleichwertig nebeneinander stellen. Beide Regionen haben mich geprägt. Von Frankreich aus versuche ich auf dem Laufenden zu bleiben, was sich überall in Deutschland tut. Im Urlaub zieht es mich immer wieder mal zurück in die brandenburgische Landschaft meiner Kindheit. Sehr verbunden bin ich auch der Stadt Leipzig, wo ich 1999 mein Studium begann. Auch nach Niedersachsen zieht es mich regelmässig: In der Friedensstadt Osnabrück habe ich meinen Studienabschluss gemacht, die ersten Jahre gearbeitet. In Frankreich versuche ich ein vielfältiges Bild von Deutschland zu vermitteln.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Für meine Eltern, 1989 knapp 40 Jahre alt, war die Wende ein tiefer Einschnitt in ihrer beruflichen Laufbahn. Mein Vater fand als Techniker schnell Arbeit in der deutschen Niederlassung eines amerikanischen Unternehmens. Er quälte sich mit dem Englischlernen zur gleichen Zeit wie seine Kinder. Der Studienabschluss meiner Mutter als Unterstufenlehrerin wurde in Niedersachsen nicht anerkannt, sie kämpfte zeitweise mit Arbeitslosigkeit. Für uns Kinder war der Neuanfang im Westen eine Lektion: Gewissheiten, Bezugspunkte können von heute auf morgen wegbrechen. Wir haben uns fremd gefühlt, trotz der gleichen Sprache. Aber es hat mich auch stark gemacht, später ins Ausland zu gehen.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Das Bild Ostdeutschlands im Ausland leidet unter einer verzerrten Wahrnehmung. Frankreich ist da ein gutes Beispiel: Viele Franzosen kennen den preisgekrönten Film „Das Leben der Anderen“. So stellen sie sich das DDR-Leben vor. In den letzten Jahren haben sie über die Medien verstärkt von Pegida, AfD und Rechtsradikalismus gehört. Dass das jeweils nur einen Teil der vielfältigen Lebenswirklichkeit der Menschen im Osten widerspiegelt, ist schwer zu vermitteln. Es bräuchte mehr positive Beispiele von gelungenen Transformationen, zukunftsweisenden Projekten und engagierten Menschen aus dem Osten, die es auch in überregionale, internationale Medien schaffen!