Wir sind der

Osten

Sophie Lorraine Senf

Sophie Lorraine Senf ist Studentin und Redakteurin und 1995 in Eisenach geboren.

Zurückgekehrt: Sophie wohnt aktuell in Eisenach.

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Weshalb bist du gegangen?

Ich habe bisher an vielen Orten ein Zuhause gefunden, die weit über Ostdeutschland oder nationale Grenzen hinaus reichen. Trotzdem kehre ich immer wieder in meinen Kindheitsort zurück. Franz Kafka sagte einst, dass es schwer sei, sich von der eigenen Heimatstadt loszureißen. Für ihn fühlte es sich fast an, als hätte sie Krallen. Wenn ich das lese, muss ich schmunzeln, denn ich fühle das auch. Eisenach ist mein Zuhause, meine erste Kindheitserinnerung, der Ort, an dem ich nicht nur meine Wurzeln suche, sondern mich selbst neu denken kann und aus dem ich Inspiration ziehe. Dabei bin ich nicht nostalgisch, sondern schlicht davon überzeugt, dass er deutschlandweit massiv unterschätzt wird.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Bisher habe ich Europäische Kulturwissenschaft, Soziologie und Medienwissenschaft in Berlin und London studiert. Mein Schwerpunkt beschäftigte sich größtenteils mit Zugängen und Beispielen sozialer Ungleichheit, darunter vermehrt auch Ansätze der Aufarbeitung deutscher Gesellschaftskonstruktion. Bevor ich die Zukunft gestalte, möchte ich noch tiefer in Intersektionalität und Identitätsprägungen eintauchen, um dazu beitragen zu können, unsere Verwurzelungen, Machtstrukturen und Gesellschaftspolitik neu denken zu lernen. Meine Devise lautet dabei Austausch, Kommunikation und die Arbeit mit und an Worten.

  • 1995

    Eisenach

  • London

  • 2020

    Eisenach

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ostdeutsch sein ist über Fremdzuschreibungen ein bewusster Teil meiner Identität geworden. Als Jugendjournalistin war ich deutschlandweit viel unterwegs und habe früh gelernt, gegen Stereotype anzukämpfen. „Du bist aus dem Osten? Hört man gar nicht!“ und „Ist es trist da?“ sind vermutlich die häufigsten Bezüge, mit denen meine Herkunft kommentiert wird. Im Vergleich dazu ist da heute mehr Selbstbewusstsein und Selbstzuschreibung. Ich gehöre einer Generation an, die die DDR, ihren Fall und ihre Transformation nie aktiv miterlebt hat. Reflektierend gibt es aus diesen Zeiten trotzdem intensive Prägungen, Eigenarten und Mentalitäten, die meine kulturelle Perspektive ausmachen.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Kurz zusammengefasst könnte ich sagen: Perspektivisch, habituell und kulturell. Mit meinem Ostdeutsch-Sein konfrontiert zu sein, ist in meinem universitären Umfeld fast schon alltäglich geworden. Daraus konnte ich lernen, inwiefern meine Erfahrungen, Reaktionen, Werte und Ansichten aufgrund meiner Herkunft nicht dieselben sind, wie sie meine westdeutschen Freund_Innen gemacht haben. Das finde ich entgegen aller Stereotype nicht jammerschade, sondern eher bereichernd. Mir meine kulturelle Individualität bewusst zu machen, hat mir auch geholfen, zu erkennen, welchen Wert ein aktiver Umgang mit dem Ostdeutsch-Sein für eine vielfältige Gesellschaft haben kann.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir FÜR Ostdeutschland mehr kulturelle Anerkennung und eine detailliertere Wahrnehmung, die ostdeutsche Prägungen und Leistungen als divers, bereichernd, vielseitig und wertvoll betrachtet. Hingegen wünsche ich mir VON Ostdeutschland noch mehr Mut, Selbstbestimmtheit, Schaffenskraft und konstruktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein. Daher bin ich froh, dass es Initiativen wie „Wir sind der Osten“ gibt, denn hier wird gezeigt, wie ostdeutscher Erfolg, Eigeninitiative und Dialog aussehen können, die sich Ungleichheit und Ungerechtigkeit, aber auch Resignation bewusst entgegenstellen.