Stefan Krabbes
Stefan Krabbes ist Parlamentarischer Assistent einer Europa-Abgeordneten und Blogger und 1987 in Dessau geboren und in Priorau (Sachsen-Anhalt) aufgewachsen.
Gegangen: Stefan wohnt aktuell in Brüssel.
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Weshalb bist du gegangen?
Ich hatte schon immer den Wunsch, mal ins Ausland zu gehen. Als Schüler habe ich mich zwei Mal für das Parlamentarische Patenschaftsprogramm des Deutschen Bundestages beworben, um für ein Jahr in die USA zu gehen und meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Leider hat es beide Male knapp nicht geklappt. Nach meinem Schulabschluss hat sich nie so die Möglichkeit ergeben. Ich habe angefangen, eine Ausbildung zu machen, im Landtag von Sachsen-Anhalt für die Grünen zu arbeiten, zu studieren, in Halle an der Saale. Dann habe ich wiederum ein Jobangebot bekommen, als Büroleiter in den Deutschen Bundestag zu gehen. Erst letztes Jahr, 2019, hat sich die Möglichkeit ergeben, für meine Chefin nach Brüssel zu gehen. Sie ist dort für Sachsen und Sachsen-Anhalt zuständig und suchte jemanden, der Social Media-Erfahrung hat und sich gut im Osten auskennt – das klang nach einer Ausschreibung für mich. Deshalb habe ich dann die Initiative ergriffen. Ich komme aber immer wieder gerne zurück.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Mit meiner Hashtag-Aktion #DerAndereOsten habe ich versucht, Menschen aus dem Osten zu zeigen und zu Wort kommen zu lassen, die sich nicht mit den Geschehnissen rund um Pegida, Chemnitz und Köthen 2018 identifizieren konnten. Damals gab es schon andere Hashtags wie #wirsindmehr oder #DasandereSachsen. Aber ich habe mir gedacht: Das Problem betrifft nicht nur Sachsen, sondern Gesamtostdeutschland – Rechtsextremismus ist ein Problem, das man benennen muss. Man darf es nicht klein reden. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass, auf Ebene der Medien, eine Minderheit das Bild der Mehrheit einnimmt und bestimmt. Wir müssen und mussten also rauskommen aus dem Themendiktat der AfD. Sonst zahlt man letztlich nur auf das Konto der Rechten ein. Darauf wollte ich einerseits hinweisen und dem andererseits etwas entgegensetzen – zeigen, was und wer der Osten auch ist. So habe ich einen Kanal eröffnet, der mit dazu beitrug, eine neue Debatte über das Thema Ostdeutschland zu ermöglichen. Außerdem ging es mir darum, die Ostdeutschen selbst zu Wort kommen zu lassen und mit ihnen über ihre Erfahrungen zu reden. Mein Hashtag ist damit, neben anderen, Teil einer breiteren Bewegung für den Osten und vielen Menschen, die für den Osten streiten.
Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?
Fühlst du dich Ostdeutsch?
Ich fühle mich ostdeutsch, aber finde es immer schwierig das zu begründen. Ich bin auch überzeugtes Landei, Demokrat und Europäer.
Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?
Die Abwanderung junger Leute, das Nicht-viel-Haben hat die Ostdeutschen sehr geprägt. Mir fällt immer auf, dass wir das mit den Iren gemein haben. Wir Ostdeutschen sind, anders als die Iren, vielleicht meist etwas grummelig, zurückhaltend, skeptisch, aber dieses Problem verbindet uns. Wahrscheinlich ist es die daraus resultierende Bescheidenheit, die mich beeinflusst. Man ist stolz auf das, was man geschafft hat, aber man post nicht damit. Da ist so ein ostdeutsches Understatement da, das merke ich ganz oft. Und diese Bescheidenheit abzulegen und zu schauen, was es hier für tolle Menschen gibt, die den Laden einfach jeden Tag am Laufen halten, aber nicht immer drüber sprechen – das wollte ich auch mit meinem Hashtag #DerAndereOsten erreichen. Meine ostdeutsche Herkunft beeinflusst mich außerdem insofern, als dass ich mich und meine Generation als Übersetzer sehe in einer Zeit, in der die ostdeutsch geprägte und die westdeutsch geprägte Mentalität aufeinander knallen. Es ist, glaube ich, unsere Verantwortung und das, was wir Wendekinder können, zu übersetzen zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland.
Was wünschst du dir für Ostdeutschland?
Ich glaube, es ist keine Politik mehr zu machen, die die ostdeutsche Perspektive nicht effizient mitdenkt und quasi auch beteiligt. Ich glaube zum Beispiel, der Politiker oder die Politikerin, die den Osten nicht mit integriert, kann auch kein Kanzler bzw. keine Kanzlerin werden. Über die letzten Jahre hat sich der Osten über verschiedene Initiativen bereits lauter gemacht und ich wünsche mir auf jeden Fall, dass der Osten mehr „mitgehört“ wird. Die Leute, die sich aktiv für den Osten einsetzen, müssen an den Geschehnissen in der Bundesrepublik stärker beteiligt werden. Ich weiß nicht, ob‘s eine Ostquote sein muss, aber wir brauchen auf jeden Fall mehr Menschen mit ostdeutschem Hintergrund in Verantwortung. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen den Eindruck bekommen, sie können ihre eigenen Orte auch selbst verwalten, ihre Landkreisverwaltung, ihre Ministerien. Daran anknüpfend wünsche ich mir, dass sich nicht nur die Strukturen ändern, sondern auch die Inhalte, so dass sich auch der Diskurs anders gestaltet. Ich denke außerdem, dass die ostdeutsche Perspektive, die Erfahrung der Wiedervereinigung von Ost und West, uns inhaltlich und außenpolitisch auch beim Zusammenwachsen Europas helfen kann. So könnte die ostdeutsche Erfahrung über die deutsche Politik dabei helfen, eine moderne, integrativere Position in der Europapolitik zu finden.