Susanne Hennig-Wellsow

Susanne Hennig-Wellsow ist Bundesvorsitzende (Die Linke) und 1977 in Demmin geboren und in Erfurt aufgewachsen.

Geblieben: Susanne wohnt aktuell in Erfurt und Potsdam.

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Was hat dich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Es gibt dafür sicher ganz viele Gründe, kleine und große Anlässe, persönliche Erfahrungen und so weiter. Und es gab so etwas wie ein sehr frühes Erlebnis: Ich erinnere mich noch heute an eine politische Tour von Gregor Gysi durch den Osten Anfang der 1990er Jahre. Ich habe ihn da mit 13 in Erfurt erlebt, ich war also noch sehr jung, und deshalb war es auch nicht unbedingt das, was er gesagt hat. Aber was ich auch mit 13 sehr nah erfahren habe, war die Hoffnung, welche die Menge in ihn gesetzt hat. Hoffnung auf Veränderung, Hoffnung auf Respekt. Das Gefühl, dass man für die und mit den Menschen zusammen etwas erreichen kann, ist bei mir geblieben.

Wie überzeugst du junge Menschen, in Ostdeutschland zu bleiben und vor Ort die Zukunft zu gestalten?

Am besten, indem wir mehr von den positiven Beispielen sprechen, ohne die problematischen Entwicklungen zu verschweigen. Die vielen jüngeren Menschen im Osten, die sich für soziales Miteinander, starke Demokratie, progressiven Wandel und gelebte Solidarität einsetzen, haben viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn sie sind Ansporn und Mutmacher*innen, auch für meine politische Arbeit. Nicht nur in Thüringen zeigt sich doch, dass politisches Engagement, ob nun auf der Straße, im Verein, im Dorf oder im Parlament, erfolgreich sein kann. Ja, es gibt hier im Osten viele Probleme – aber auch viele Problemlöser. Und nicht selten erweist sich das dabei Geleistete als Vorreiter für den Westen.

  • 1977

    Demmin

  • Erfurt

  • 2021

    Potsdam

  • 2021

    Erfurt

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Ich fühle mich zuerst als Mensch, dem Solidarität wichtig ist, und die unteilbar ist. Dass ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin, hier Politik gemacht habe und weiterhin mache, hat mich geprägt. Nicht zuletzt die biografischen Erfahrungen der unmittelbaren Nachwendejahre: Ungewissheit, Sorge um die Zukunft, das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Ich glaube, jene Zeit der harten wirtschaftlichen und sozialen Einschnitte hat erst so etwas wie „das Ostdeutsche“ entstehen lassen: weniger als kollektive Identität, sondern als gemeinsamer Erfahrungshorizont. Wenn „ostdeutsch“ diese Gemeinsamkeit meint, ohne die Unterschiede und die Vielfalt auszublenden, passt der Begriff auch auf mich.

Weshalb gibt es noch immer weniger parteipolitisches Engagement in Ostdeutschland und wie möchtest du das ändern?

Es gibt viele Studien zu dieser Frage, die man hier jetzt referieren könnte. Aber ich will lieber den Blick auf das Positive richten, das schon da ist: Meine Erfahrung ist, dass sehr viele gerade junge Menschen im Osten in den vergangenen Jahren sehr engagiert waren – in der Klimabewegung, für mehr Solidarität, für die kleinen Veränderungen und die großen politischen Weichenstellungen. Das freut mich, denn hier wächst etwas heran, das auch die Parteipolitik antreibt, verändert, ergänzt. Wir als DIE LINKE haben, auch das macht mir Freude und Hoffnung, in den letzten Jahren sehr viele gerade jüngere Menschen neu in unserer Partei begrüßen können.

Was machst du, damit Ostdeutsche bessere Chancen haben?

Chancen sind eine Frage von Gleichberechtigung. Hier haben wir noch viel aufzuholen, wenn es zum Beispiel um die Besetzung von Spitzenpositionen geht. Chancen sind aber auch eine Frage von ökonomischer Gerechtigkeit. Was es dazu vor allem braucht: ein soziales Fundament. Ein Beispiel: Mit einem Mindestlohn von 13 Euro würden über 40 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten mehr Geld in der Tasche haben. Das heißt, viele Menschen müssten dann nicht mehr am Monatsende bangen, ob sie mit dem Geld noch bis zur nächsten Lohnzahlung über die Runden kommen. Wir müssen drittens viel mehr für die öffentliche Daseinsvorsorge tun. Denn das ist gewissermaßen die »Infrastruktur der Chancen«, dazu gehören lebenswerte Kommunen, gute Schulen, gerechtes Gesundheitswesen, schnelles Internet.

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Ich wünsche mir, dass die vielen Engagierten, die vielen Menschen, die mit einem offenen Herzen durch ihren Alltag gehen, mehr Beachtung finden. Ich wünsche mir, dass wir mit einer großen sozialen und ökologischen Anstrengung Eigensinn und Eigeninitiative der Ostdeutschen fördern, denn das Gute wächst von unten. Und ich wünsche mir dass ein anderer Blick auf den Osten zum Normalfall wird, ein Blick, der neugierig auf die Alternativen, auf das Eigensinnige ist. Das würde Mut zum Machen und zum Wandel machen. Auch im Westen.