Till Gaßmann
Till Gaßmann ist 1996 in Duisburg geboren, in Moers aufgewachsen und hat sich später für Ostdeutschland entschieden.
Status: Till ist Studienbotschafter der MLU und wohnt aktuell in Halle/Saale.
Foto: Anton Geissmar
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich bin eher zufällig in Halle gelandet. Als ich 2014 mein Abi gemacht habe, wusste ich nicht genau, was ich machen sollte. Nach einem kurzen Praktikum in einer Anwaltskanzlei entschied ich, mich für Jura zu bewerben. Ich musste mich bundesweit bewerben. Das war für mich aber nicht schlimm, da ich eh von meiner Heimat weg wollte, um mal etwas Neues auszuprobieren. In Halle bekam ich dann als erstes eine Zusage und nahm den Platz an. Ich bin trotz zweier Studienwechsel in Halle geblieben, weil ich mich mittlerweile sehr wohl hier fühle – vor allem wegen meiner neuen Freunde, der schönen Natur (z.B. Seenplatte in MV) und weil ich mich selbst durch mein Engagement entfalten kann.
Wie gestaltest du die Zukunft?
In meinem aktuellen Beruf als Studienbotschafter der MLU werbe ich für das Studium in Halle, repräsentiere den Studiengang und stehe für Fragen und Antworten rund ums Studium im Allgemeinen & in Halle zur Verfügung. Als Studienbotschafter möchte ich vor allem für einen Vorurteilsabbau gegenüber Halle bzw. den neuen Bundesländern arbeiten. Neben Nebenjob & Studium bin ich auch in mehreren sozialen Projekten aktiv (gewesen), in dem ich an der Zukunft aktiv mitgestalten konnte. Von 2015-2017 im Flüchtlingstandemprogram des AK Refugees Welcome, 2016-2020 in der Bildungsinitiative Rock Your Life Halle e.V. und seit Anfang dieses Jahres unterstütze ich die Gründung eines UNICEF JuniorTeams in Halle.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Ich fühle mich weder ostdeutsch noch westdeutsch. Das liegt einfach daran, dass beide „Seiten“ wichtige Phasen meines bisherigen Lebens geprägt und sozialisiert haben. Ich habe über die Zeit Charakterzüge und sprachliche Aspekte aus den verschiedensten Regionen Deutschlands aufgenommen. Beispielsweise Dialekte wie „Moin“ von meinen Mitbewohner aus MV, die sehr ehrliche direkte Art aus dem Pott, das manchmal sehr Kritisch-Sein aus Sachsen-Anhalt oder auch der halbwegs gute Umgang mit Geld von meinen schwäbischen Verwandten. Ich kann mich daher keiner „Seite“ so direkt zu ordnen. Das finde ich auch nicht nötig, da wir eigentlich alle in dem selben Land leben.
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Meine Eltern & Freunde waren zunächst erst einmal froh, dass ich trotz meiner schwierigen Abiturzeit einen Studienplatz bekommen habe. Dennoch waren sie auch ein bisschen traurig, dass ich so weit wegzog. Zu dem Zeitpunkt gab es bis auf ein paar Witze bezüglich des Sächselns keine negativen Reaktionen. Erst mit dem Aufstieg der Pegida-Bewegung und der AFD in den folgenden Jahren wurde ich öfter mit der Frage konfrontiert, warum ich in den „Osten“ gezogen wäre, wie ich es überhaupt da aktuell noch aushalten könne und ob es wirklich „so schlimm“ dort ist. Auf der anderen Seite musste ich mir aber auch manchmal Vorurteile anhören, ob ich z.B. nur wegen der billigen Wohnungen gekommen wäre.
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Ich denke, nach der Wende hatten Westdeutsche insofern Vorteile, als dass sie zum einem einen anderen wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen (in Bezug auf die Zeit in der DDR-Überwachung) Background hatten und zum anderen dieses Wissen und die Ressourcen auch gut nutzten, um sich selbst einen Vorteil daraus zu erschaffen, in dem sie beispielsweise Wohnraum und Unternehmen billig aufkauften. Gerade die Erfahrung aus DDR und die Fehlentscheidungen der Regierungen nach der Wende (z.B. Treuhand) haben dafür gesorgt, dass noch bis heute eine gewisse Politikskepsis herrscht.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Positiv ziehe ich aus meiner Zeit, dass ich viele Vorurteile, die sich bei manchen in den Kopf gesetzt haben, persönlich nicht bestätigen kann. Aber auch die kulturelle Vielfalt hier begeistert mich – nach meinem Gefühl wird Projekten hier mehr Freiraum geboten, um mit kreativen Ideen die Gesellschaft und das Leben innerhalb der Städte mitzugestalten: Eine Tatsache, die mir auch bei meiner eigenen Entwicklung sehr geholfen hat. Seitdem ich hier lebe, habe ich vor allem noch mal eine andere Perspektive zur Wiedervereinigung kennengelernt, die gerade von den vielen negativen Folgen (Treuhand usw.) geprägt ist. Eine Perspektive, die mir zuvor nie aufgezeigt oder in der Schule behandelt wurde.
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
Ich persönlich wünsche mir, dass wir wieder mehr in die Zukunft schauen und langsam aufhören, uns über Fehler der Politik vor über 20 Jahren aufzuregen und diese als politisches Totschlagargument zu nutzen. Die Generation nach der Wiedervereinigung kann nichts dafür. Deren Zukunft deswegen zu verbauen, finde ich unfair. Wir sollten daher anfangen, die aktuelle Lage als Basis für Veränderungen zu nutzen, die zukünftigen Generationen ermöglicht, nicht mehr unter vergangenen Fehlern zu leiden. Es ist wichtig, dass wir nun vorangehen und ein gutes Beispiel leisten, sodass es eines Tages nicht mehr nötig ist, sich als Ost- oder Westdeutsche*r zu definieren – sondern uns alle nur noch als Bürger*innen Deutschlands empfinden.